Murray, Paul
Wind flatterte. Schwitzend, wie im Fieber, stieg ich die enge
Treppe hinauf, wobei mich die Eisenstäbe, die aus den Steinwänden ragten, in
die Seiten pieksten. Am Holzgerüst klebten in unregelmäßigen Abständen gelbe
Zettel, auf die unleserliche Botschaften gekritzelt waren - Notizen der
Bauarbeiter, so stellte ich mir vor, für Arbeiten, die nie mehr erledigt
würden. Auf halbem Weg stieß ich auf das Klavier. Es klemmte rettungslos
verkantet zwischen Treppe und Decke. Ich quetschte mich vorbei, stieß, oben
angelangt, die Falltür auf und steckte den Kopf in den Raum.
Eine
einzelne Flamme flackerte im Wind, der unter der Dachplane hereinwehte. In dem
gespenstischen Licht sahen die vertrauten Dinge, die mich von allen Seiten
anschauten, deplatziert, fast unheimlich aus. Es war, als befände ich mich in
einem Flohmarktzelt und erforschte das Museum meines eigenen Lebens. Die
Ottomane, der Teekessel, die Menora, zahllose Dinge, ich gar nicht vermisst
hatte: ein Briefbeschwerer, ein Strandtuch, ein Radio. Gleich neben der Luke
stand ein Weihnachtsgeschenk für Mutter, das Fußmassagegerät, für das Bel und
ich vor Jahren zusammengelegt, das sie aber meines Wissens nie auch nur ausgepackt
hatte. Daneben: ein vertrauter Tisch mit vertrauten Stühlen, vertraute
Schlafsäcke mit vertrauten Decken und ein alter Teddybär, der bei mir mit Erreichen
des Teenageralters in Ungnade gefallen war. Auf der anderen Seite der Falltür,
die sich fast in der Mitte des kreisrunden Raums befand, lagen die Wertsachen
- kunterbunt auf einem großen Haufen durcheinander geworfen wie der Schatz in
einer Drachenhöhle. Die Münzen, die Pistolen, das Kristall und das Silberzeug,
Gold, Achat und Hermelin - alles in einer Ecke zusammengeschoben, ein Haufen,
der etwas klar und ziemlich entwaffnend zum Ausdruck brachte: Das war jemandes
Vorstellung von einem Vermögen und davon, was man mit einem Vermögen anfangen
konnte.
Ich hätte
schon vorhin erwähnen sollen, dass sich in einem der Schlafsäcke ein Mädchen
befand. Es saß aufrecht an der Wand und las in einer eselsohrigen Gesamtausgabe
der Stücke von Tennessee Williams. Entweder täuschte sie vor, mich nicht
bemerkt zu haben, oder das Buch hatte sie völlig in den Bann geschlagen. Wie
auch immer, jedenfalls war ich genötigt, mich mit einem Hüsteln einzuführen.
»Ähem.«
»Ah, da
bist du ja«, sagte das Mädchen.
»Ja«,
sagte ich und kam mir etwas übertölpelt vor.
»Komm doch
rein«, sagte sie höflich und legte das Buch zur Seite.
»Danke.«
Regungslos sah sie zu, wie ich mich durch die Luke hievte. »Ich hab gewusst,
dass du früher oder später kommen würdest«, sagte sie. »Was ist passiert?«
»Ach, nur
ein kleiner Disput drüben beim Haus. Dein beziehungsweise deine Brüder waren
so freundlich einzuschreiten...«
Trotz des
unruhigen Lichts war nicht zu übersehen, dass sie ein bemerkenswertes Mädchen
war: volles schwarzes Haar wie ihre Brüder, scharfe, eindrucksvolle Züge. Die
durchdringenden, stahlblauen Augen schauten mich nicht einfach an, ihr Blick
grub sich ungestüm in meine Augen hinein. Es war wie eine Erlösung, als sie
blinzelte.
»Wahrscheinlich
ist es am besten so«, erklärte sie in heiterem, nach wie vor gelassenem und
mehrdeutigem Tonfall. Dann, wie um sich selbst zu bestätigen, nickte sie. Ihr
Akzent war gefälliger als der ihrer Mutter, er verlieh ihrer Stimme eine
samtene, hypnotische Note. Plötzlich hatte ich es nicht mehr eilig, wieder zu
gehen. Sie fing an, vor sich hin zu summen, und wickelte sich eine Locke um den
Finger. Dann, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen, hörte sie damit auf.
»Möchtest du was zu trinken? Seit neulich haben wir auf einmal eine
Riesenauswahl Wein da.«
Ȁh,
nein«, sagte ich zögernd und stieß mit dem einen Schuh den anderen an. »Ich bin
eigentlich nicht nur da, um guten Tag zu sagen. Ich wollte auch sagen, dass in
ein paar Minuten der Turm in die Luft fliegt.«
»Plus ca change«, sagte sie mit einem Anflug von Lächeln.
»Ich
mein's ernst«, sagte ich. »Du musst hier raus.«
»Wie lange
haben wir noch?«
»Weiß
nicht genau. Nicht mehr lange.«
Sie
schaute sich in dem Raum um, als täte sie das zum ersten Mal. »Ein Jammer«,
sagte sie. Es klang nüchtern, aber auch bedauernd. »Würdest du dich kurz
umdrehen? Ich muss mir was anziehen.«
»Sicher.«
Ritterlich begab ich mich zur anderen Seite des Raumes. Das seltsame
Klopfgeräusch hinter mir ignorierte ich, während ich in den von Mrs
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