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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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P
entwendeten Schätzen kramte. Auch ein Miniatureiffelturm aus Plastik hatte sich
hierher verirrt, ein Souvernir einer Frankreichreise aus meinen Kindertagen,
die hauptsächlich darin bestanden hatte, in Hotelzimmern darauf zu warten, dass
Vater von endlosen Konferenzen zurückkam. Er und Mutter waren wie Katz und Maus
gewesen. Ich fragte mich, wer den Turm aufgehoben hatte. »Ich muss schon sagen,
eure Kaltschnäuzigkeit ist bewundernswert...«, sagte ich über die Schulter.
    »Halb so
wild, im Laufe der Jahre kriegt ein Mädchen ganz schön was mit«, erwiderte sie.
»Okay, du kannst wieder schauen.« Als ich mich umdrehte, sah ich noch, wie ein
nackter Arm in einen burgunderroten Ärmel schlüpfte. Sie bedachte mich mit
einem Lauren-Bacall-Zwinkern. Der helle Rock war eng und reichte fast bis zum
Boden. »Nun? Bin ich präsentabel?«
    »Außerordentlich.«
    »Was ist
mit... ?« Sie machte eine umfassende Handbewegung, die den Turm und das gesamte
Inventar einschloss.
    Ich zögerte.
Es stand nicht mehr allzu gut um meinen Plan. Selbst wenn ich, was zunehmend
unwahrscheinlicher wurde, meinen getürkten Tod noch durchziehen konnte, so
bestand nur geringe Aussicht, dass die Versicherung für die zerstörten Werte
hier oben etwas ausspucken würde. Jedwede aus meinem Tod erzielten Profite
würden dadurch vollkommen neutralisiert, ich exilierte für nichts nach Chile.
Mein nächster Gedanke war, dass es in diesem Stadium am besten sei, das
Vorhaben abzublasen und den Schaden dadurch zu begrenzen, so viele Wertsachen
wie möglich zusammenzuraffen und nach draußen in Sicherheit zu bringen. Doch
dann ging mir auf, dass alles, was ich rettete, ohnehin unter den Hammer kommen
würde. Nichts von all dem gehörte noch mir. Es gehörte niemandem, zumindest niemandem mit einem Gesicht und einem Namen, der
möglicherweise des Abends mit einem Martini und einem Körbchen Trüffel hier
heraufstieg, um den Leuten beim Strandspaziergang mit ihren Hunden zuzuschauen.
Vielleicht lag es an dem Mädchen und an dem seltsamen Zauber, den sie
ausstrahlte, dass es mir plötzlich wünschenswerter erschien, unser Vermögen in
die Luft fliegen als von der Bank an den Meistbietenden versteigert zu sehen.
Wenn wir schon bankrott gingen, dann konnten wir das auch mit Stil erledigen.
»Vergiss den Krempel«, sagte ich achselzuckend. »Uns bleibt immer noch Paris.«
    Sie lachte
und machte einen Schritt auf die Luke zu. Spontan nahm ich ihren Arm. »Ich
weiß, es ist lächerlich«, sagte ich, »aber in ein paar Minuten fliegt das hier
alles in die Luft, und vielleicht sehen wir uns danach nie wieder ... Wenn es
dir also nichts ausmacht, mir eine Frage zu beantworten: Warum nur habe ich
das Gefühl, dass wir uns schon mal gesehen haben?«
    »Wir
müssen uns beeilen«, begann sie instinktiv, sprach dann aber nicht weiter und
deutete hinter sich zu den Schlafsäcken. »Wenn du da hinten aufs Bücherregal
steigst, kannst du die Plane losmachen und dich über die Brüstung nach draußen
lehnen. Man fühlt sich ein bisschen, als ob man fliegt. Besonders wenn der Wind
pfeift.«
    »Dann ...
dann bist du der Engel«, rief ich aus. »Du hast mir immer zugewinkt!«
    »Du hast gedacht, ich bin ein
Engel?«
    »Nun ja ... ganz sicher war ich
mir nicht...«
    »Ich glaube, du warst nie
nüchtern.«
    »Nun ja...«
    »Du hast
immer so durcheinander ausgesehen!« Sie lachte wieder, und nun war sie es, die
meinen Arm nahm. »Charles, was passiert jetzt mit uns? Wird deine Mutter uns
der Polizei übergeben?«
    »Natürlich
nicht«, sagte ich aufrichtig. »Daran würde sie nicht mal im Traum denken. Wir
reden mit ihr, keine Sorge. Wir finden schon eine Lösung.«
    Das schien
sie zu beruhigen. Sie nickte und ließ meine Hand los, schaute mir in die Augen
und sagte leise: »Charles, was hast du da in der Hose?«
    Da ich
Vaters Porträt ganz vergessen hatte, brachte mich diese Bemerkung
zugegebenermaßen etwas aus der Fassung, und unser Abmarsch hätte auf fatale
Weise in Verzug geraten können, wäre nicht in der selben Sekunde ein rot
angelaufenes, aufgeregtes Gesicht in der Luke aufgetaucht.
    »Sieh an,
sieh an«, sagte ich und war blitzartig wieder in der Realität. »Wenn das nicht
die Ratte ist, die einen letzten Blick auf das sinkende Schiff wirft.«
    »Sind Sie
wahnsinnig?«, kreischte MacGillycuddy. »Die Bombe! Was stehen Sie da rum und
quatschen?«
    »Schon
gut, schon gut.« Er verschwand wieder, und ich geleitete das Mädchen vor mir
her - und da war es wieder,

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