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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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zurück. Doch gerade als ich mir den Stoff hinter die Binde
kippen wollte, wurde mir das Glas von den Lippen gerissen - und zwar von keiner
Geringeren als Bel, in deren Kielwasser die schnatternde Schar ihrer krätzigen
Schauspielerfreunde in den Raum drängte.
    »Was fällt
dir ein?«, sagte ich. »Gib das wieder her.«
    »Solange
er Medikamente nimmt, darf er keinen Alkohol trinken«, sagte Bel zu den
Schauspielern. »Er geht schon die Wände hoch. Die Welt hat jede Bedeutung für ihn
verloren.«
    »Was ist
passiert?«, fragte ein Kerl mit idiotisch geflochtenen Haaren.
    »Das ist
eine lange Geschichte«, sagte Bel und nippte an meinem Whisky. Sie trug immer
noch das Make-up aus dem Stück. Jenseits der Bühne wirkte es grell und
unpassend, als käme sie geradewegs aus einer viktorianischen Kaschemme. »Kurz
gesagt, er hat versucht, den Turm im Park in die Luft zu sprengen, um die
Versicherung zu kassieren, und dabei ist ihm eine seiner Wasserspeiersonderanfertigungen
gegen den Schädel geknallt. Er hat sechs Wochen im Koma gelegen.«
    »Der
Arme«, flötete eine nicht unansehnliche Blondine und bedachte mich mit einem
betroffenen Blick.
    »Kein
Grund zur Sorge«, versicherte ich. »Sie zucken ja noch, die alten Knochen.«
    »So weit
geht's ihm wieder ganz gut«, sagte Bel. »Ihr hättet ihn an dem Abend sehen
sollen, als es passiert ist. Sein Kopf hat ausgehen wie ein Kürbis.«
    »Wie
schrecklich«, säuselte die Blondine und schaute mich wieder betroffen an.
    »Und Sie
sind...?«, preschte ich vor, aber da hatte sie sich schon wieder Bel zugewandt,
um weitere Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Ich kam mir vor wie ein
demolierter Hutständer oder ein Beagle mit einer bandagierten Pfote.
    »Irgendwie
war es auch komisch«, sagte Bel. »Als ihn das Ding erwischt hatte, ist er
nämlich noch ein paar Minuten auf dem Rasen rumgelaufen und hat Überreste von
dem explodierten Silberzeug eingesammelt, und die hat er dann in Franks
Lieferwagen verstaut...«
    »Im
Lieferwagen?«, sagte der Kerl mit den Haaren.
    »Also geh
ich hin zu ihm, um ihn zu beruhigen und damit er sich hinlegt, bis der
Krankenwagen kommt, und er hält bloß eine Hand hoch und...« Ihr Gesicht war
inzwischen blassrot angelaufen, und es dauerte einen Augenblick, bis sie sich
das Kichern wieder verkniffen hatte. »Also, er sagt, ich soll ganz ruhig
bleiben, und er weiß zwar im Moment nicht genau, wo Südamerika liegt, aber wir
finden sicher jemanden, den wir nach dem Weg fragen können.«
    »Nun ja,
das hatte natürlich einen Grund...«, wollte ich mich erklären, aber sie lachten
alle so laut, dass sie mich gar nicht hörten. Ich bekam allmählich eine vage
Vorstellung davon, was das Phantom der Oper durchgemacht haben musste. Diese
Theatermenschen konnten ziemlich gefühllos sein. So sehr ich mich auch
abmühte, meine Version der Geschichte anzubringen, das Gespräch rollte über
mich hinweg wie ein Dreißigtonner. Und da ich mir auch keine Hoffnung mehr
machte, von Bel meinen Drink zurückzubekommen, gab ich schließlich auf und
stapfte davon.
    Und zwar
direkt in Mutters Arme, die hinter uns stand und gerade eine Gruppe dumpf
dreinblickender älterer Herrschaften mit einer ihrer Theateranekdoten ergötzte,
und zwar der, als sie bei einer Wohltätigkeitsvorstellung vom Sommernachtstraum mit Kindern der Polio-Schule Vater kennen gelernt hatte. »Ich habe die
Titania gespielt und er den Oberon, und er war so unglaublich attraktiv, und dann waren da diese Kinder, die die Elfen spielen
wollten, und wir steckten ziemlich in der Bredouille, weil die Armen unbedingt
mitspielen wollten, obwohl die meisten ja nicht mal gehen konnten, geschweige
denn tanzen...«
    »Was ist
das denn für ein komischer Vogel?«, sagte ein rüstiger Herr, der neben ihr
stand.
    »Das ist
Charles.« Mutters Tonfall veränderte sich schlagartig. »Entschuldigen Sie mich
bitte, ich müsste mal eben ein Wort mit meinem Sohn ... Charles! Charles!«
    Mir war
ziemlich klar, warum sie mal eben ein Wort mit ihrem Sohn sprechen musste: Weil
sie nämlich wissen wollte, warum ich ihr schon den ganzen Nachmittag gezielt
aus dem Weg ging und warum ich mich jetzt taub stellte und einfach so in der
Menge abtauchte - falls jemand mit einem rundum bandagierten Kopf überhaupt
irgendwo abtauchen konnte. Blicke trafen mich und perlten wieder ab wie Wasser;
manche gaben Kommentare ab, ohne auch nur die Stimme zu senken, als glaubten
sie, weil sie mich ja nicht sehen konnten,
dass ich eigentlich

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