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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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auch nicht da sei. Es
war unbeschreiblich lästig. Und um alles noch schlimmer zu machen, erwischte
ich hin und wieder auch selbst einen Blick von mir in einem Spiegel, zuckte
zusammen und wünschte mir, ich sei tatsächlich unsichtbar.
    Ein paar
Tage zuvor war ich ziemlich arglos aus dem Koma erwacht und hatte feststellen
müssen, dass meine Welt komplett auf den Kopf gestellt war - nicht von der
Bank, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern von Bel, die in meiner Abwesenheit
einen eigenen Plan zur Rettung Amaurots ausgeheckt hatte. »Wir machen ein
Theater draus«, hatte sie gesagt, im Krankenhaus, am Tag, als ich wieder zu mir
gekommen war. Ich war noch benebelt gewesen von den Schmerzmitteln, und der
Plan war mir so augenfällig gestört vorgekommen, dass ich ihn, obwohl sie ihn
mir ziemlich ausführlich erläuterte, nicht hatte glauben können. Und noch heute
Abend, mit den ersten Früchten dieses Plans vor Augen - das Haus voller
Schauspieler und reicher Kunstmäzene, der mit Bühne, Scheinwerfern und
Plastikstühlen ausgestattete, für jedermann zugängliche Ballsaal -, konnte ich
es immer noch nicht glauben. Ich wusste nur eins: Es war sehr, sehr wichtig,
dass ich schnell etwas Alkoholisches fand.
    Doch bevor
ich mich auch nur bis auf fünf Meter der Bar genähert hatte, machte mir Mrs P
mit ihrem Gesichtausdruck klar, dass die Chancen, ihr noch einen Drink
abzuschwatzen, bei null lagen. Mit erhobenen Händen flehte ich um Gnade, doch
sie stand nur mit verschränkten Armen da und schaute mich ungerührt an. So
blieb mir nichts anderes übrig, als den Raum zu durchstreifen und nichts
ahnenden Gästen ihre halb vollen Gläser zu klauen. Unnötig zu erwähnen, dass
mir das nicht gefiel. Niemand sollte sich jemals gezwungen sehen, in seinem
eigenen Haus Drinks zu stehlen. Aber ich fand heraus, dass ich das ziemlich
gut konnte. Außerdem stellte ich fest, dass die Menschen aufgrund irgendeines
unterbewussten Impulses lieber ihre Drinks opferten als sich der harten
Realität meines Anblicks zu stellen. Und das nutzte ich skrupellos aus. Nach
einem Martini, zwei Cosmopolitans und einem Brandy Alexander war ich wieder ein
bisschen mehr bei mir selbst - zumindest so weit, dass ich mich Mirela nähern
konnte.
    Sie stand
an der Bar und wankte schon leicht unter einer Frontalattacke von Frank und
Laura. Auch sie hatte zwar noch die Schminke im Gesicht, doch hatte es bei ihr
nicht diesen verwirrenden Effekt wie bei Bel. Sie sah sogar besser aus; ihr
Teint wirkte kräftiger und leuchtender - wie bei einem restaurierten Gemälde,
dachte ich. Und sie schien - was vielleicht aber auch daran lag, dass ich
einiges durcheinander getrunken hatte - mit jeder Sekunde strahlender zu
werden, mit jeder Sekunde das blässliche, gespenstische Mädchen, dem ich in
jener Nacht begegnet war, weiter hinter sich zu lassen.
    »Es war so
... so...«, sagte Laura, während ihre Hände langsame, quetschende Bewegungen
machten, als betaste sie die gewaltige, schwammige Masse Wahrheit, die das
Stück ihr vermittelt hatte.
    »Genau«,
bekräftigte Frank.
    »Es war
wie EastEnders und Coronation
Street und Brookside zusammen«,
sagte Laura. »Außer dass es in Dublin war und mit echten Menschen drin.«
    »Das hat
mir echt was gebracht«, sagte Frank, wobei er die Worte so dehnte, als würde er
sie gerade zum ersten Mal ausprobieren.
    »Nun, das
ist sehr schön«, sagte Mirela.
    »Ich hab
geweint«, sagte Laura nüchtern.
    »Ehrlich?«
    »Ja. Er
auch.«
    »Hab ich
nicht.«
    »Lügner,
hast du doch.«
    »Nein, ich
hab dauernd das Puder in die Augen gekriegt, das da in der Luft rumgeschwirrt
ist. Hab ich dir doch gesagt.«
    »Das hast
du nicht gesagt ... O mein Gott!«
    »Keine
Panik, das ist Charlie. Alles paletti, Charlie? Wie geht's der Birne?«
    »Die Damen
fahren offensichtlich voll drauf ab...«Ich rieb mir die Stelle, wo mich Laura
bei ihrem Panikluftsprung mit dem Ellbogen erwischt hatte.
    »Vielleicht
sollten wir dir ein Glöckchen anhängen«, sagte Mirela lachend.
    »Vielleicht... hier, Laura, versuch's mal mit ein bisschen
Tonic.«
    »Das kann ich selbst«, brummte sie, riss mir die Serviette
aus der Hand und betupfte den dunklen Fleck auf ihrer Bluse. »Das war die
letzte, die Top Shop in meiner Größe dahatte. Mist, die kann ich nicht
anbehalten ...«
    »Ich helf
dir«, sagte Frank und zwinkerte mir zu, als er die immer noch ärgerlich an
ihrer Bluse herumreibende Laura Richtung Bad bugsierte. Allerdings fiel mir
auf, dass er, gerade als

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