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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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zusammenzuklappen. Als sie sich gramgebeugt
wieder auf dem Stuhl niederließ, hätte man im alten Ballsaal eine Stecknadel
fallen hören - was meine Hoffnung zunichte machte, mal schnell auf ein
Regenerierungsschlückchen raus an die Bar zu springen.
    »Das ist
ein Teufelskreis, Mama«, fuhr Bel fort. »Weil wir so nie gelernt haben, uns
selbst zu lieben. Deshalb ist aus Dougie ein Joyrider geworden, einer, der den
Kick der Spritztouren mit geklauten Autos brauchte. Das und auch die zeitweise
Erlösung durch Drogen ersetzten ihm nicht nur das von der Gesellschaft
vorenthaltene Selbstwertgefühl, es hat ihm auch die Flucht aus der Monotonie
der Langzeitarbeitslosigkeit erlaubt.«
    »Wenn ich
das alles nur früher gewusst hätte...« Mirela schüttelte traurig den Kopf,
wobei ein Wölkchen Talkumpuder von ihrer Perücke aufstieg. »Er hätte keinen so
sinnlosen Tod sterben müssen.«
    Bel legte
eine Hand auf ihre Schulter. »Um die anderen zu retten, ist es noch nicht zu
spät. Wenn wir alle zusammenarbeiten und das beherzigen, was wir heute Abend gelernt
haben.«
    »Ich bin
stolz auf dich«, sagte Mirela. »Du hast das alles durchgestanden und bist
dadurch eine noch stärkere Frau geworden. Das gibt mir Hoffnung für die
Zukunft.«
    Auch mir
gab das Hoffnung für die Zukunft, sodass ich schon mal meine Jacke anzog. Aber
der Vorhang fiel noch nicht, weil nämlich Bel zu Mirela sagte, da sie gerade
von der Zukunft spreche - sie sei schwanger. Immer wenn man dachte, jetzt ist
es aus, wurde jemand schwanger oder von einem Joyrider über den Haufen
gefahren. Mein Kopf pochte. Merkten sie nicht, dass sie es ein bisschen zu arg
mit uns trieben? Ich mahlte mit den Zähnen, ich riss schmale Papierstreifen vom
Programmzettel »Feuer frei! - Ein Stück des RH Workshop«, rollte sie
zu Kügelchen und bewarf Frank damit, der in der ersten Reihe saß. Ich legte die
Stirn in Falten und versuchte per Willenskraft das Ende herbeizuzwingen,
worauf mir aber nur mein Kopf noch mehr wehtat und sich Schweißtropfen unter
meinem Verband bildeten.
    Ich hatte
erst am Nachmittag das Krankenhaus verlassen, und wenn sich jemand die Mühe
gemacht hätte, mich zu fragen, dann hätte ich ihm vielleicht erzählt, dass ich
es unter Abwägung aller Umstände vorgezogen hätte, den ersten Abend zu Hause
nicht in Gesellschaft von hundert glotzenden Fremden zu verbringen. Aber mich
hatte niemand gefragt, und noch bis weit in den ersten Akt hinein hatte sich so
manches bange Gesicht nach mir, der ich in der letzten Reihe saß, umgeblickt.
Vielleicht in der Annahme, ich sei einer aus jener endlosen Reihe von lange verschollenen
Joyrider-Halbbrüdern, oder aus Furcht, ich könne irgendeinen
Phantom-der-Oper-Stunt abziehen und mich von der Scheinwerferbrücke
hinabschwingen - ein Gedanke, der mir zugegebenermaßen für den Bruchteil eines
Sekündchens durch den Kopf geschossen war. Doch da, ja, die Lichter gingen aus
und wieder an, die Leute sprangen auf, klatschten, Bel und Mirela traten vor,
strahlend, verbeugten sich. Ich hielt noch kurz an mich und applaudierte,
eilte dann aber vor der Meute Richtung Musikzimmer, wo Mrs P hinter der Bar
stand und Gläser polierte. »Soda, bitte«, sagte ich.
    »Ist
Schluss?«, sagte sie.
    »Ja«,
sagte ich. »Hmm, vielleicht sollte ich ein Schlückchen Scotch dazu nehmen.«
    Mrs P
griff nach der Flasche. Ich leckte mir die Lippen, als der Flaschenhals den
Rand des Glases berührte. »Ach, wissen Sie was, lassen wir das mit dem Soda,
und machen Sie mir gleich einen Doppelten«, sagte ich und versuchte das Zittern
in meiner Stimme zu unterdrücken.
    Mrs P
hielt inne und schaute mich misstrauisch an.
    »Master
Charles, ich glaube, Sie dürfen nicht trinken.«
    »He?«,
sagte ich und gab den Ahnungslosen. Aber anscheinend hatte die schlechte
Schauspielerei auf mich abgefärbt. Mrs P schaute mich vorwurfsvoll an und
stellte die Flasche wieder weg. »Der Doktor hat gesagt, kein Schnaps.«
    »Das hat
er nicht gesagt, Mrs P, vielleicht jemand anders, Mutter vielleicht...« Das
führte zu nichts. »Kommen Sie, würde ich Sie je anlügen?« Ich drückte
flehentlich ihren Arm. »Liebe, gute Frau, glauben Sie das?«
    »Master
Charles, Sie tun mir weh.«
    »Bitte, an
so einem besonderen Abend!« Ich bettelte wie im Fieber. »An so einem ganz
besonderen Abend!«
    Die ersten
Zuschauer kamen aus dem Theatersaal. Kopfschüttelnd schenkte Mrs P einen
Whisky ein, schob mir das Glas hin, und ich zog mich dankbar in ein
abgeschiedenes Eck

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