Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
Vom Netzwerk:
ziemlich selten«, räumte ich ein. »Ich meine, es ist selten,
dass man einen Butler erwischt, der genau Schuhgröße 43 hat.«
    Da hatte
ich mich wohl im Ton vergriffen. Mirela runzelte die Stirn und wickelte sich
eine Strähne ihres schwarzen Haars um einen Finger. »Vielleicht hab ich es
nicht richtig erklärt«, sagte sie. »Ich will nur sagen, dass Mama nicht so ist.
Sie ist kein Dieb. Ich hab ihr tausendmal gesagt, warum bestiehlst du diese
Leute, die sorgen sich um dich, die helfen uns bestimmt. Aber du musst verstehen,
dass es sehr schwer für sie ist, anderen Menschen zu vertrauen, nach allem,
was passiert ist. Am Anfang hat sie nur kleine Sachen genommen, was nicht
auffällt eben. Als sie dann das mit der Bank hört, kriegt sie die Panik; sie
kann nicht mehr schlafen, sie bildet sich ein, sie muss so viel stehlen, dass
sie uns alle wieder nach Hause bringen kann. Als ob wir jemals wieder nach
Hause könnten.« Sie schnitt eine hämische Grimasse. »Ich will nur sagen, dass
sie das nicht getan hat, weil sie verrückt oder schlecht ist. Sie ist einfach
eine Frau, der schreckliche Sachen zugestoßen sind.« Unter dem stechenden
Blick ihrer glühenden, kobaltblauen Augen kam ich mir vor wie aufgespießt.
»Ich will nur, dass du weißt, wir sind eine normale Familie, der ein paar Dinge
zugestoßen sind. Verstehst du das?«
    »Sicher«,
krächzte ich. »Sicher.«
    »Ich
wusste, dass du es verstehen würdest«, sagte sie ruhig. Sie schaute wieder nach
unten auf ihre Hände und sagte dann plötzlich: »Heut Abend auf der Bühne, ist
dir da mein Bein aufgefallen?«
    »Dein...

    »Mein
Bein, Charles. Das muss dir doch aufgefallen sein, und den anderen auch. Ich
will nicht, dass du höflich bist, sag einfach, wie's war.«
    »Mir ist
nichts aufgefallen«, sagte ich. »Ehrlich. Vielleicht am Anfang ein bisschen,
aber dann nicht mehr.«
    »Das war
auch was, das Mama mit dem Geld machen wollte«, sagte sie nachdenklich. »Die
können heute wahnsinnige Sachen machen. Das sagen alle.«
    »Ich
find's nicht so schlimm«, sagte ich. »Irgendwie passt es zu dir.«
    Möglicherweise
war das eine unpassende Bemerkung, ich kannte mich nicht aus in Etikette für
fehlende Gliedmaßen. Aber sie lachte nur. »Ist doch gut, dass ich jetzt endlich
jemanden habe, mit dem ich darüber sprechen kann, wie's ist, wenn man in die
Luft gesprengt wird«, sagte sie.
    »Das ist
kein Witz«, sagte ich ernst.
    »Danach
sieht die Welt nie mehr so aus wie vorher, stimmt's?« Sie hörte auf zu lachen.
»Man weiß dann nämlich, was einem mal einfach so passieren kann.« Sie senkte
den Kopf. Wieder betrachtete ich ihr Gesicht. Was genau war es, was mich daran
so faszinierte?
    »Ich bin
euch wirklich sehr dankbar, Charles, dass ihr uns aufgenommen habt«, sagte
sie. »Die meisten Leute wissen gar nicht, was bei uns passiert ist. Die denken,
wir wollen bloß betteln.«
    »Kein
Problem«, sagte ich. Sfumato, so nannten
Maler das, wenn Linien verschwimmen oder weggelassen werden, so wie es Leonardo
da Vinci gemacht hat, um bei seiner Mona Lisa diesen verführerisch fließenden
Eindruck zu erzeugen.
    »Ich
wusste, dass du es verstehen würdest«, sagte sie noch einmal. Ein Augenblick
der Stille verstrich. Es lag ziemlich klar auf der Hand, worauf sie
hinauswollte. Die Zeit war reif für meinen Zug. »Da fällt mir ein, dass ich
dir auch was sagen wollte. Und zwar über das Stück.«
    »Ja?« Sie
schaute mich an.
    »Ja«,
sagte ich und streckte die Arme aus, sodass die Handgelenke aus den Ärmeln rutschten.
»Und zwar über den einen Punkt, den ich interessant, den ich persönlich
ermutigend fand an dem Stück - was es nämlich über die Liebe sagt.«
    »Über die
Liebe?«, wiederholte sie unsicher.
    »Ja, das
Stück zeigt, dass die Liebe über alles triumphieren kann, über die ... äh ...
Armut und diese Autodiebstahlsache und das alles.«
    »Ah,
verstehe«, sagte Mirela. »Ja, aber eine Lovestory, glaube ich, ist das Stück
eigentlich nicht.«
    »Aber die
Liebe zwischen Bels Figur, zum Beispiel, und diesem ... diesem Burschen mit
dem Schnäuzer, also, ich habe das so verstanden, dass ... wenn einem also
schreckliche Dinge zustoßen, und man ist völlig am Ende, dann gibt es immer
noch Hoffnung, weil man genau dann diesen ganz besonderen Menschen trifft, der
einem dabei hilft, das alles durchzustehen. Ja, das habe ich für mich aus dem
Stück mitgenommen.«
    »Ja.«
Mirela nickte unbestimmt, während sie auf einen liegen gelassenen
Programmzettel

Weitere Kostenlose Bücher