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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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als Ruf zu den Waffen, als eine Art
Rebellion. Das gehört in die Luft gejagt, das ganze...«
    »Harry,
ich möchte dir Charles vorstellen...«
    Er schaute
sich gleichgültig um und lächelte mich nichtssagend an.
    »Charles, das ist Harry...« Mirela
drehte sich wieder zu mir um. »Wir kennen uns«, sagte ich schroff. »Ach ja?«,
sagte Harry.
    »O ja«,
sagte ich. Der Groschen war schließlich gefallen. Ich wusste, wo ich ihn schon
einmal gesehen hatte. Und jetzt war mir auch klar, wie diese finstere
Unternehmung ins Rollen gekommen war. Die vorgeblich unterprivilegierten
Schauspieler, die jetzt das Musikzimmer verstopften, waren niemand anderes als
die Fressalien schnorrenden Marxisten, die mir in Bels Studententagen die
Nachmittage vermiest hatten. Und dieser Bursche, der damals noch pinkfarbene
Haare gehabt und den Namen Boris getragen hatte, war der Rädelsführer gewesen.
Wie oft hatte ich mit anhören müssen, wie er, die Beine auf der Chaiselongue
hochgelegt, irgendein blauäugiges Mädchen mit Ideen von Träumen oder Freiheit
oder Revolutionen vollquatschte oder wie er Mrs P dazu aufstachelte, sich gegen
ihre Unterdrücker zu erheben - namentlich Mutter und mich -, und sich
währenddessen mit Trüffeln vollstopfte oder den Nusszopf verschlang, den sich
schon jemand anders auf den Teller geladen hatte. »O ja«, sagte ich noch
einmal, um ihm klar zu machen, dass ich sein Spiel durchschaut hatte und ihn
fortan genau im Auge behalten würde. Die Unterhaltung war jedoch schon
weitergezogen, dergestalt, dass es aus den Mädchen heraussprudelte wie aus
Zwölfjährigen, die zu viel Brausepulver erwischt hatten, dass sie an seinen
Ärmeln zupften und ihn bedrängten, doch mehr von der Rebellion zu erzählen,
sodass ich mich schließlich darauf beschränkte, von einem vorbeischwebenden
Tablett ein paar Kanapees zu nehmen und diese auf irgendwie bedrohliche Art
und Weise aufzuessen.
    »Ich sehe
das Stück eher als Teil eines Guerillakriegs«, sagte Harry. Aus der Nähe sahen
die geflochtenen Zöpfe aus wie wuselnde Schlangen, die sich beim Rumkriechen
auf seinem Kopf vergiftet hatten. Er war einer von denen, die beim Sprechen mit
den Fingern imaginäre Gänsefüßchen machten - noch ein guter Grund, ihn zu
verachten. »Ich nehme eine elitäre Kunstgattung und nutze sie im Wesentlichen
als Trojanisches Pferd, aus dem wir dann herausspringen und unser bourgeoises
Publikum mit seinen Verbrechen konfrontieren können. Das Stück muss über eine
explosive Kraft verfügen, die sozusagen das Gebäude zerstört, in dem es
aufgeführt wird ... wie eine Bombe...«
    »Moment
mal«, warf ich ein. »Ich hoffe, du meinst damit nicht Amaurot, oder?«
    »Das ist
eine Metapher, du Depp«, sagte Bel grob.
    »Wir haben
natürlich die Hoffnung, nie zu richtigem Sprengstoff greifen zu müssen«, sagte
Harry zu mir.
    »Das hoffe
ich doch auch«, sagte ich und widmete mich wieder meinen Kanapees. »Man macht
keine Witze, wenn's um die Sprengung von Gebäuden geht. Ich spreche aus
Erfahrung.«
    »Das
Vermächtnis der Postmoderne ist ja wohl«, fuhr Harry fort, »der Kunst die
Fähigkeit zu jeglichem sinnvollen Statement abzusprechen - über die Welt als
Ganzes wie auch über uns. Meiner Meinung nach müssen wir also zurück zum
Theater von Berkoff, von Artaud...«
    »Charles,
du hast Pastete auf deinem Verband«, sagte Bel.
    »Wo?«
    »Da. Hör
auf, nicht reiben, du machst es nur schlimmer ... Gott, das ist ja eklig.«
    Die Runde
stöhnte, die Gesichter verrieten Zeichen von Abscheu. Bel senkte gehässig die
Stirn, wild, wie ein Stier kurz vor dem Angriff.
    »Ich werde
den Fleck rauswaschen«, sagte ich kleinlaut und zog mich Richtung Bad zurück.
Der Herr mit dem leuchtend roten Gesicht hing zusammengesackt über dem
geschlossenen Klavierdeckel und weinte. Als ich zurückkam, ging ich nicht
wieder zu den Schauspielern. Stattdessen stellte ich mich an die Wand, hinter
eine Topfpflanze, damit Mutter mich nicht sehen konnte, und nuckelte
niedergeschlagen an einem Eiswürfel. Der Abend entwickelte sich zu einem
einzigartig niederschmetternden Erlebnis. Wollte denn niemand mit mir
sprechen?
    Wie als
Antwort auf meine Frage fiel im selben Augenblick ein missgebildeter großer
Schatten auf mich. »Alles paletti?«
    Ich
beschränkte mich auf einen stummen Kraftausdruck.
    »Und, was
spricht die Birne?«, fragte er. »Ist ja wohl noch da unter dem ganzen Zeug,
oder?«
    »Das hat
man mir zumindest glaubwürdig versichert«, sagte ich.
    »Hab
nämlich

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