Murray, Paul
darauf auszudrücken... <«
Draußen
auf dem Gang läutete eine Glocke. Seufzend nahm Bel ihre Jacke von der
Stuhllehne. »Du musst eins begreifen, Charles«, sagte sie. »Wir sind nicht mehr
reich. So einfach ist das. Leben auf Amaurot hieße ums nackte Überleben
kämpfen; das ist, wie auf einer kleinen Insel zu sitzen und immer weiter vom
eigentlichen Leben abgetrieben zu werden.« Sie holte tief Luft und atmete wieder
aus. »Das ist eine gute Sache, sieh das doch ein«, sagte sie und legte mir eine
Hand auf den Arm. »Auf diese Weise können wir das Haus halten, und wir können
alle zusammenbleiben...«
Trotz
meines derangierten Geisteszustands fiel mir auf, dass das seit unserem
unbeabsichtigten Tete-a-Tete im Dunkeln das erste Mal war, dass sie mich
berührte - sie reichte mir den Ölzweig. Aber so leicht würde ich mich nicht
kaufen lassen. Ohne zu antworten, wandte ich den Kopf zur Seite und fixierte
mit starrem Blick den Zipfel Himmel, der im Fenster noch zu sehen war.
Schließlich nahm sie die Hand von meinem Arm, und ich hörte das Knarzen des
Stuhls. Sie stand auf und ging.
Der Punkt
war: Im Grunde wusste ich, dass sie Recht hatte; alles veränderte sich, das
neue Geld übernahm das Kommando. Man sah diese neuen Leute am Wochenende: blass
von den dämmerigen Tagen und Nächten, die sie eingegraben in Bürotürmen
zubrachten, krochen sie in ihren BMWs und klotzigen Jeeps über die engen
gewundenen Straßen und spähten nach Grundstücken wie zahnlose anämische Haie.
Was, wenn es tatsächlich keine andere Möglichkeit gab, das Haus vor diesen
Leuten in Sicherheit zu bringen? Ich versuchte mir Amaurot als Heimstatt voller
plappernder Fremder vorzustellen; ich sah mich am Frühstückstisch sitzen, mir
gegenüber die Unterprivilegierten. Würde ich mich mit ihnen unterhalten müssen?
Würden sie sich Dinge von mir ausleihen wollen? Rasierklingen, Krawatten? Der
Gedanke war zu schmerzlich, um ihn überhaupt zu denken. Die weit bessere Lösung
schien mir zu sein, einfach alles zu ignorieren, so zu tun, als habe das
Gespräch mit Bel nie stattgefunden. Das wäre ohne große Probleme machbar;
Schmerzmittel waren ja ausreichend vorhanden. Sie sorgten für eine fette und
klebrige, an den Rändern ausfransende Wirklichkeit, die nur gestört wurde vom
Kommen und Gehen der Arzte und Schwestern und vom todbringenden Pfeifen des
Patienten nebenan, das sich anhörte, als bliese ein trockener Wind durch einen
versteinerten Wald.
In jener
Nacht jedoch - der ersten, die ich nach meiner Daseinslücke wieder auf Erden
verbrachte - konnte ich nicht schlafen. Ich lag stundenlang wach und starrte
auf den Wall der um mich herum aufgebauten Bildschirme und Kontrollgeräte, die
piepsend in Diagrammen und Impulsen die unsägliche Geschichte meines Körpers
erzählten. Ich meinte an den Sägezahnkurven Dinge ablesen zu können, alle
möglichen Dinge: Explosionen, Prophezeiungen, unmittelbar bevorstehende
Katastrophen. Immer schneller brachen sie über mich herein, bis ich es nicht
mehr ertragen konnte und, gepackt von kaltem Entsetzen, die Notrufklingel
drückte, »Hilfe, Hilfe!« schrie, Sekunden später die Hackenden, sich schnell
nähernden Schritte der Nachtschwester hörte und endlich sah, wie die Tür sich
öffnete. Es war nicht die attraktive Dralle, die für die Abreibungen mit dem
Schwamm zuständig war, sondern die Thermometergeile ohne Hintern.
»Ja?«,
fragte sie barsch. »Was ist los?«
Ich
räusperte mich und deutete auf die Spitzen und tiefen Täler auf dem Monitor und
sagte: »Ich mache mir ein wenig Sorgen, äh, dass...«
»Fühlen
Sie sich nicht wohl?« Sie tappte ungeduldig mit dem Fuß. »Haben Sie Schmerzen?«
»Nun ja,
nicht direkt.« Ich hatte plötzlich das Gefühl, als hätte ich möglicherweise
etwas übertrieben. »Es ist nur ... diese Spitzen da auf dem Schirm, sehen die
nicht ein bisschen, na ja, anders aus?«
»Nein«,
sagte sie und stöhnte abweisend. »Die sind absolut normal, genau wie beim
letzten Mal und beim vorletzten Mal.«
»Oh. Ich
hatte gedacht, sie sind ein bisschen anders.« Einen Augenblick lang herrschte
Stille - bis auf das Tappen ihres Fußes. »Viel los?«, sagte ich. Sie hatte zwar
ein knochiges Gesicht und war analfixiert, aber immerhin war sie jemand, mit
dem ich reden konnte.
»Sehr«, blaffte
sie, als hätte sie nur auf die Frage gewartet. Dann drehte sie sich auf dem
Absatz um und schoss aus dem Zimmer - zurück zu ihrem Kreuzworträtsel oder
ihrer Schale mit
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