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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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Eingeweiden, oder womit auch immer sie beschäftigt war in dem
Glaskasten am Ende des Ganges. Und ich war wieder allein mit der stummen
Prozession der elektrischen Wellen, mit meinen Gedanken an zu Hause, an die
blühenden Bäume und den Ballsaal, wo Gespenster in Frack und gewaltigen
Reifröcken sich in Quadrillen und Kotillons drehten, während die Wände
vermoderten und Spinnen Netze in die Kronleuchter spönnen.
     
    Jemand
stieß die Tür zum Ballsaal auf. »Ach, da bist du. Warum hast du nicht auf mich
gewartet?«
    »Tut mir
Leid, aber ich wusste nicht, dass ich warten sollte.«
    »Es ist
eiskalt hier.« Mirela nibbelte sich mit den Händen über die nackten Arme. »Was
machst du hier unten? Du verpasst die ganze Party.«
    »Äh ...
Nur ein bisschen frische Luft schnappen.«
    »Deine
Mutter sucht dich.«
    »Ich
weiß«, sagte ich düster.
    Sie setzte
sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Mittelgangs. »Geht's dir gut?
Tut der Kopf weh?«
    »Nein,
nein...« Ich drehte mich zu ihr, schlug die Beine übereinander, hielt das
plötzlich für zu weibisch und nahm das Bein wieder herunter. »Na ja, es ist
halt das erste Mal, dass ich es so sehe, fertig umgebaut. Verschafft mir
wenigstens eine Ausrede dafür, larmoyant zu werden.«
    »Larmoyant?«
    »Traurig,
weinerlich ... wenn ich an früher denke, weißt du?«
    »Muss ein
komisches Gefühl sein, wenn man nach Hause kommt und alles hat sich verändert.«
    Ich
betrachtete die erhöhte Bühne, die glatten Farbflächen und die vorstehenden
Holzbalken, die die moderige Tapete und den Rokokostuck unter der Decke ersetzt
hatten. »Das ist schon okay so«, sagte ich großmütig.
    »Ich bin
froh, dass du rechtzeitig nach Hause kommen konntest, um die erste Vorstellung
zu sehen«, sagte sie.
    »Mit den
Schmerzmitteln im Leib ging's schon«, sagte ich.
    Sie
lachte. »Armer Charles! Hat's dir denn wenigstens ein klein bisschen gefallen?«
    Du hast mir
gefallen, wollte ich sagen - auch wenn dir dauernd die Perücke verrutscht ist
und du Liebe wie Lippe ausgesprochen
hast und das Wort Joyriders klang, als kämen die Burschen
direkt aus einem transsylvanischen Bauernschwank, nahm trotzdem, immer wenn du
auf der Bühne warst, der knirschende Dialog vorübergehend eine fast melodiöse
Qualität an. Aber ich sagte es nicht, ich brummelte nur was von realistischen
Kostümen.
    »Mmm«,
sagte sie und schaute nach unten auf ihre Hände, die sie verschränkt hatte wie
jemand, der einen Marienkäfer nach draußen in den Garten bringen will. »Ich
muss dir unbedingt was sagen, Charles.«
    »Ja?«,
sagte ich und räusperte mich.
    »Ist nicht
ganz einfach.«
    »Versuch's
einfach«, sagte ich. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte mich schon gefragt, ob
... Ich meine, was passiert denn im Film, wenn einem Kerl irgendwas
Außergewöhnliches zustößt, wenn er fliehen muss oder in die Luft gesprengt wird
oder sein Haus von der eigenen Schwester in ein Genossenschaftstheater
umgewandelt wird? Na? Er trifft eine wunderschöne Frau, die sich auf der Stelle
in ihn verliebt und ihm auf seinem neuen Lebensweg zur Seite steht. Kein
Gewese, warum sie sich in ihn verliebt. So läuft das eben. Vielleicht ist es so
eine Art Lohn des Schicksals für den Wagemut, das Gleichgewicht des Universums
gestört zu haben. Ich war jedenfalls der Meinung, dass mit einem Mädchen wie
Mirela an meiner Seite eigentlich nichts schief laufen konnte.
    Zur
Vorbereitung atmete sie noch mal aus, dann sagte sie: »Ich wollte mich dafür
entschuldigen, dass Mama die Sachen gestohlen hat.«
    »Ah, ja,
sicher.« Ich hüstelte, um meine Enttäuschung zu überspielen. »Ist doch kein
Thema, also wirklich. Schwamm drüber, okay?«
    »Du musst
ja glauben, dass wir alle verrückt sind«, sagte sie leise. Lichtfetzen krochen
unter der Tür hindurch und ließen den Flaum auf ihren Armen silbrig glitzern.
    »Nein,
nein.« Ich beeilte mich, sie zu beruhigen. »Da habe ich schon viel schlimmere
Geschichten gehört. Zum Beispiel, dieser Freund von mir, Pongo McGurks, seine
Familie, die hatte einen Butler, der hieß Sanderson; Jahre hatten die den,
haben immer auf den geschworen, bester Butler, den sie je hatten, und so. Und
als sie mal früher aus dem Wochenende zurückkommen, da steht er da, im
Hochzeitskleid von Pongos Mutter, und will sich gerade vom Toaster mit der
Kuckucksuhr trauen lassen.«
    »Oh.« Sie
schien sich nicht sicher zu sein, was sie damit anfangen sollte. »Und so was
passiert oft?«
    »Nein, ich
glaube, das ist

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