Murray, Paul
überhaupt nichts. Kühl wandte sich Mutter
wieder den Leuten im Raum zu. Das leuchtend rote Gesicht war inzwischen vom
Klavierdeckel entfernt worden, und jemand stimmte gut gelaunt einen Trauermarsch
an. »Scheiße!«, rief ich zornig. »Scheiße! Wenn du nur einen Tag in deinem
Leben gearbeitet hättest, würdest du das nicht für einen Heidenspaß halten...«
Mutter versteifte sich, ihr Gesicht wurde alabasterweiß. »Äh, ich meine, du
hast natürlich in deinen Wohltätigkeitsorganisationen gearbeitet«, sagte ich
schnell und erblickte gleichzeitig einen Rettungsanker. »Vielleicht könnte ich
ja auch was in der Richtung machen.« Das schien nicht sonderlich schwer zu
sein. Gala-Diners, Weinproben, Promi-Versteigerungen, alles Dinge, denen ich
durchaus gewachsen war. Das Glas in Mutters Hand begann zu zittern. »Oder ...
wie wär's mit Wein? Ich könnte meinen eigenen Wein machen, in unserem Garten,
den könnte ich dann verkaufen...«
»Ich bin
froh, dass wir dieses Gespräch geführt haben, Charles«, sagte Mutter eisig.
»Ich wünschte nur, wir hätten es früher geführt. Die Zahlungen an dich werden
ab kommender Woche ausgesetzt. Das scheint mir in dieser Angelegenheit das
Beste zu sein. Ich werde gleich morgen mit Geoffrey reden.«
»Na
wunderbar!« Ich warf die Hände in die Luft. »War ich nicht der Einzige, der
sich um das Haus gekümmert hat? War ich nicht derjenige, der alles in Schuss
gehalten hat, während du nicht da warst, der Mrs P gesagt hat, was zu tun ist,
der die Pfauen gefüttert hat und der sie begraben hat, wenn sie gestorben
sind? Aber wenn alle nur glauben, dass ich so eine Art Schnorrer bin, ja
dann...«
»Es gibt
keinen Grund, laut zu werden, Charles.«
»Ich bin
nicht laut«, brüllte ich. Die Struktur des Raumes nahm seltsam verzerrte Formen
an. Hinter Mutters Schulter erblickte ich Harry. Das Licht um ihn herum schien
aus ihm selbst zu strahlen - eine Sonne mit Zöpfen und bäuerlicher Jacke,
links und rechts flankiert von Bel und Mirela, zwei hübschen, lachenden Monden.
Und was war dann ich?, fragte sich mein fiebriger Verstand. Ein Splitter im
Universum? Ein Asteroid, dem einsamen Siechtum überlassen in den kalten,
dunklen Außenbezirken des Alls? Hinter Mutters anderer Schulter sah ich Frank,
der mir mit seiner Bierdose zuprostete. »Scheiße! Wenn alle das glauben, warum
die Sache nicht ganz durchziehen, wenn ihr schon dabei seid? Schmeißt mich doch
raus! Aber die Mühe könnt ihr euch sparen, ich schmeiß mich jetzt selbst raus.
Ich bin nämlich nicht hier, um mich beleidigen zu lassen.«
»Niemand
beleidigt dich, Charles. Wenn du nicht mal in der Lage bist, ein ruhiges,
vernünftiges Gespräch...«
»Ich bin
vollkommen ruhig! Wenn ihr mich jetzt entschuldigen wollt, dann kann ich
nämlich ganz ruhig die Treppe hochgehen und ganz vernünftig meine Koffer
packen...«
Wortlos
trat Mutter zur Seite. Mit wild klopfendem Herzen marschierte ich zur Tür. In
der Halle ragte bedrohlich die Treppe auf, die mit ihren Spitzen und Schatten
aussah wie ein Requisit aus einem deutschen expressionistischen Stummfilm. »Ein
Schnorrer!« murmelte ich, während ich die Stufen hinaufging. »Ein Schnorrer!«
Das war einfach zu monströs. Mich der Lethargie, der »chronischen Faulheit« zu
beschuldigen, nach allem, was ich für das Haus getan hatte, mir vorzuwerfen,
ich kümmerte mich um nichts, während ich mich pausenlos gekümmert hatte.
Man hatte
mich furchtbar verletzt. Zudem schien es so, als hätten sich die Drinks mit den
Schmerzmitteln verbündet und führten jetzt Krieg gegen mein Hirn. Doch sogar
als ich meine Koffer packte, als ich die Treppe wieder hinunterging, als ich
den Mantel aus der Garderobe nahm und ein paar Minuten länger als unbedingt
nötig den imaginären Staub vom Revers wischte, sogar dann noch hätte ich
sicher meinen Koffer ins Eck geschleudert und die ganze Geschichte mit einem
Lachen aus der Welt geschafft, wenn nur einer gekommen wäre und versucht
hätte, mich aufzuhalten. Komm schon, Charles, lass uns noch
mal über die Sache reden. Oder: Stell dich
nicht so an, alter Junge, los, wir gehen jetzt einen trinken. Ich ging
sogar zurück ins Musikzimmer, nur für den Fall, dass jemand die Absicht gehabt
hatte, aber irgendwie aufgehalten worden war. Ich stand neben der Tür und
schaute sie mir an, wie sie redeten und lachten und wie bunte Rauchschwaden im
Zimmer herumwirbelten. Aber niemand kam.
Einmal,
vor vielen Jahren, ich muss so um die zehn gewesen sein,
Weitere Kostenlose Bücher