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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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Hast du je auch
nur eine Zeile von Robert Graves gelesen?«
    Sie antwortet nicht, wird umso gelassener, je mehr seine
Wut wächst - was ihn nur noch wütender macht.
    »Machst du das immer so? Bringst Leute dazu, sich in dich
zu verlieben, und lässt sie dann fallen, als hätte es nichts zu bedeuten? Als
gäbe es keinerlei Folgen? Als wäre alles nur dazu da, die Zeit herumzubringen,
ich, und die Jungs aus deiner Geografieklasse, die du ganz heiß gemacht hast
auf Recycling und Erderwärmung, ich meine, liegt dir irgendwas davon wirklich
am Herzen? Dein Job wenigstens? Dein Verlobter! Ist dir
irgendetwas wichtig, oder ist das alles für dich nur ein großes Spiel?«
    Sie schweigt weiter. Dann sagt sie spontan, oder
jedenfalls mit dem Anschein von Spontaneität: »Wir sind nicht alle so wie du,
Howard. Nicht jeder sieht das Leben schwarz-weiß.«
»Wovon redest
du?«
    »Ich meine, nicht jeder hat die Fähigkeit, die du besitzt.
Die Fähigkeit zu echter Zuneigung. Das ist dein Glück, auch wenn es dir gar
nicht klar ist.«
    »Dann akzeptier doch meine Zuneigung zu dir! Wenn ich so
gut darin bin, warum lässt du mich dann nicht machen, statt davonzulaufen?«
    »Ich meine nicht mich. Ich meine die Kinder.«
    »Die Kinder?«
    »Die Jungen. Sie mögen dich. Sie hören dir zu. Streit es
nicht ab, ich hab's mitbekommen.«
    Was soll denn der Scheiß? »Redest du übers Unterrichten!« Howard ist völlig von den Socken.
»Was hat das denn damit zu tun?«
    »Ich wollte sagen, dass nicht jeder die Chance hat, etwas
Gutes zu tun. Aus den Jungen da werden bessere Menschen werden, weil sie bei
dir im Unterricht gesessen haben. Das ist dein Glück.«
    »Oh, wow, so habe ich das noch nie gesehen«, sagt Howard.
»Jetzt fühle ich mich gleich viel besser.«
    »Das solltest du auch«, sagt sie. »Ich geh dann mal
lieber. Mach's gut, Howard. Ich wünsch dir was.«
    »Warte, warte -«, ihm ist so schwindlig, als ob er eine
Flasche Wodka geleert hätte; lachend bekommt er den Riemen ihrer Tasche zu
fassen, »- warte, nur noch eins - was du damals bei dem Halloween Hop gesagt
hast, weißt du noch, du hast mir erzählt, als du in dem Alter warst, wollte bei
eurer Schülerparty keiner mit dir tanzen? Das war gelogen, oder? Bestätige mir
einfach nur, dass das auch bloß gelogen war?«
    Sie wirft ihm einen kalten, fiesen Blick zu und entwindet
ihm den Riemen. »Hast du auch nur ein Wort von dem mitbekommen, was ich gesagt
habe?«
    »Entschuldige«, sagt Howard heiter. »Alsdann, mach's gut.
Viel Glück mit der Abschlussklasse. Sie werden sich sicher mit Freuden anhören,
was du über deine Arbeit zu erzählen hast, und was du dir alles Hübsches davon
kaufen kannst, dass du reiche alte Männer noch ein Quäntchen reicher machst.«
    Sie tritt zurück, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Viel
reicher«, sagt sie ausdruckslos. »Sie bezahlen mich dafür, dass ich sie viel
reicher mache.« Damit dreht sie sich um und geht Richtung Schule. Howard sieht
ihr nach, ganz im Bann einer seltsamen, hasserfüllten Euphorie; dann fällt
sein Blick eher zufällig auf ein Fenster im oberen Stockwerk, von dem eine
Handvoll seiner Achtklässler - Mooney, Hoey, Sproke, Van Doren - trübsinnig zu
ihm hinunterstarren, was seine Siegerlaune augenblicklich in das Gefühl
totalen, verheerenden Versagens umschlagen lässt. Er winkt ihnen matt zu und
steigt ins Auto, ohne abzuwarten, ob sie zurückwinken.
    Aber die Vergangenheit ist noch nicht fertig mit ihm. Am
Abend sitzt Howard - bereits beim vierten Bier, ein zusätzlicher Vorteil, wenn
man morgens nicht zur Arbeit muss - vor dem Fernseher und sieht in den
Nachrichten plötzlich sein eigenes Haus vor sich, Seite an Seite mit denen der
Nachbarn, eine Reihe sanft abfallender Dreiecke als Silhouette auf dem
Hügelkamm, hinter der messingfarbenen Toupierfrisur einer Reporterin.
    Howard stutzt; dann beschleicht ihn ein gespenstisches Gefühl,
das wohl alle Bürger des Fernsehzeitalters angesichts drohender Enthüllungen
heimsucht. Er beugt sich vor und stellt den Apparat lauter.
    Es geht um den neuen Technologiepark. Offenbar sind die Ingenieure
bei der Ausschachtung für das Fundament auf eine Art prähistorische Festung
gestoßen. Auf Anweisung des Bauunternehmens haben sie jedoch Stillschweigen
bewahrt und weitergearbeitet, und allem Anschein nach wäre das Ganze planiert
worden, wenn nicht ein türkischer Arbeiter aus Ärger über vier Wochen
unbezahlter Überstunden die Firma verpfiffen hätte. »Archäologen

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