Murray, Paul
ein
Haus voller Zombies mit grauen Gesichtern und riesigen, hohlen Augen, die dir
folgen, wenn du die Treppe runterkommst, und dich anstarren, wenn du im
Zeitschriftenständer nach einer Zeitschrift suchst, die du noch nicht gelesen
hast, und wenn sie sich bewegen, sieht es aus, als wären sie gar nicht richtig
am Leben, schlurfen im Megaschneckentempo über den Teppich mit dem
Blumenmuster, die Arme hängen runter wie alte Bindfäden, die Prada-Jeans
schlabbern ihnen um ihre Zahnstochertaillen, und das Schlimmste von allem ist
ihr scheußlicher, ekelhafter Mundgeruch, als würden sie von innen verfaulen. Darum
bleibt Lori die meiste Zeit in ihrem Zimmer, außer wenn sie zum Psychologen
oder zur Gruppe muss. Sie liegt auf ihrem Bett, hält Lala an die Brust
gepresst. Die Tränen kommen von selbst, sie ist nicht traurig.
Ihr Zimmer sieht tatsächlich ein bisschen nach Hotelzimmer
aus, mit frischen Schnittblumen und Volants an der Überdecke, es gibt zwar
keinen Fernseher, aber dafür kann man was in das Tagebuch schreiben, in dem
man seine Gedanken festhalten soll, oder am Fenster sitzen und durch die
Gitterstäbe in den Garten schauen. Manche Mädchen - es sind nur Mädchen - sind
schon seit Monaten oder noch länger da. Den meisten geht es schlechter als
Lori, trotzdem lachen sie, wenn Lori sagt, dass sie hier nicht lange bleibt.
Manche sind von ihrer Schule, aus den Klassen über oder unter ihr, manche kennt
sie aus dem Einkaufszentrum oder vom Gottesdienst, oder es stellt sich raus,
dass sie die Schwester oder die frühere beste Freundin von irgendwem sind. Mit
einem Mädchen war Lori Vorjahren im Ballettunterricht; sie war immer so wunderschön, wie eine
schöne tanzende Blume. Jetzt sieht sie aus, als hätte ein Vampir sie bis auf
den letzten Blutstropfen ausgesaugt und weggeworfen. Ein Weilchen hat sie Lori
leidgetan, sie hat versucht, mit ihr zu reden, bis sich rausstellte, dass das
Mädchen allen erzählte, Lori käme nachts zu ihr ins Zimmer und wollte sie
anfassen.
Die Residenz ist eigentlich ziemlich genau so wie die
Schule, Rumgezicke und Cliquen, und alle Mädchen wetteifern heimlich darum, die
Dünnste zu sein. In der Gruppe kämpfen sie jede gegen jede um Dr. Pollards
Aufmerksamkeit, saugen an ihren Fingern, schlenkern mit den Beinen, mustern
einander abwägend (ha, ha) aus den Augenwinkeln, während er weiter was von
Selbstwertgefühl labert, lächerlich, das Ganze, völlig durchgeknallt, lauter
Skelette, die versuchen, erotisch zu wirken, man kann sie praktisch klappern
hören, in ihr Tagebuch schreibt sie makabra. Dr.
Pollard ist die totale Gipsnase, jeden Tag trägt er diese lahmen Strickpullis,
die man eigentlich bloß an Weihnachten anzieht, und von Selbstwertgefühl weiß
er nur so viel, wie er aus dem Buch gelernt hat, das merkt doch ein Blinder mit
Krückstock, trotzdem sabbern die Mädels bei seinem Anblick, als wäre er das letzte
Stück Schokoladenkuchen, das sie hinterher sowieso wieder auskotzen. Die
Gruppe ist wirklich das Einzige, bei dem Lori sich wünscht, sie wäre noch so
schön wie früher. Liebend gern würde sie diesen Schlampen zeigen, wie man das
macht, Dr. Pollard um den Finger wickeln und dann aufstehen und gehen, sich an
der Tür noch einmal umdrehen und ihm einen Luftkuss schicken, Träum weiter, du
Pfeife!
Gestern hat die Frau von der Modelagentur bei Mom angerufen
und gesagt, sie soll sich keine Sorgen machen, sie könnten das
Vorstellungsgespräch verschieben, bis Lori wieder gesund sei. So was passiert
andauernd, hat sie gesagt; das Wichtige ist einzugreifen, bevor der Teint
dauerhaft Schaden nimmt. Das hat Mom ihr erzählt und dann die Arme um sie
geschlungen. Ach Lori, werd schnell wieder gesund! Wirf nicht die Chancen weg,
die ich nie hatte! Lori hasst es, wenn Mom sich aufregt; sie wäre ja beinahe
bereit, wieder gesund zu werden, bloß damit sie zu dem Vorstellungsgespräch
gehen kann und Mom wieder glücklich ist. Aber das Komische ist, es macht ihr
eigentlich gar nichts mehr aus, wenn sie kein Model wird. Sie kann sich nicht
mal mehr erinnern, dass sie Model werden wollte! Mit ganz vielen Sachen ist es
so, als wären sie jemand anderem passiert, einer fremden Person, die sie nur
noch verschwommen sieht, wenn überhaupt.
Fast zwei Wochen ist sie jetzt schon hier. Meistens ist es
okay, aber manchmal hört man mitten in der Nacht Sirenen, so laut und
aggressiv, dass sie senkrecht im Bett sitzt, und beim Aufwachen am nächsten
Morgen ist dann jemand weg. Du
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