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Murray,Paul

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Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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ad absurdum. Die beiden
ungleichen Darstellungen erinnern Howard seltsam an das, was Farley an dem
Abend im Ferry über die unterschiedlichen Erklärungen des Universums gesagt hat
- die relativistische und die quantentheoretische oder das ganz Große und das
ganz Kleine. Den Generälen während des Krieges und den Professoren danach war
vor allem eines wichtig: dass es ein sinnvoller Krieg war, dass er das klassische Konzept des Konflikts verkörperte,
mit einem Wort, dass er wie ein Krieg aussah, so wie Einstein versucht hat, die
gesamte Schöpfung in seinen perfekten geometrischen Plan einzupassen. Doch so
wie die subatomaren Partikel rebellierten, sich gegen jeden Erklärungsversuch
sperrten und sich in Richtung einer immer krasseren Planlosigkeit und Unordnung
bewegten, so trudelte der Krieg, je mehr seine Führer auf dem Gegenteil
beharrten, ins Unverständliche - je mehr Soldaten zu Zehn- und Hunderttausenden
ausgelöscht wurden. Aus der Perspektive dieser Soldaten war der Krieg ein
einziger ausufernder, absurder Wirrwarr, eine vier Jahre währende Horrorstory
ohne erkennbaren Sinn, außer dem einen, nicht nur die Beweggründe und großen
Worte der Generäle Lügen zu strafen, sondern auch die Idee einer begreifbaren
und gottgewollten Welt selbst - was Howard zumindest recht quantentheoretisch
erscheint.
    »Man könnte argumentieren, dass der Erste Weltkrieg
historisch gesehen wie der Urknall war - ein singuläres Ereignis, für das
keine unserer Erklärungen ausreicht, auf das sich aber andererseits unsere
gesamte Zivilisation gründet. Seine Gewalt hat das
Universum auseinandergesprengt. Aus einem streng geordneten System, in dem
jeder seinen Platz kannte, in dem alles schön harmonisch und symmetrisch
strukturiert war, gelangte die westliche Welt in eine Epoche starker
Turbulenzen und Dissonanzen, die der Dichter T. S. Eliot >ein ungeheures
Panorama der Nichtigkeit und Anarchie< genannt hat und in der wir wohl heute
noch leben.
    Zur selben Zeit, als Einstein an den Theorien
arbeitete, die die klassischen Vorstellungen dessen, was Raum und Zeit sind und
wie die Realität funktioniert, komplett über den Haufen werfen sollten, hat der
Krieg unseren ganzen Zivilisationsbegriff umgekrempelt. Jahrhundertealte
Reiche verschwanden über Nacht, die Menschen verloren den Glauben an
Institutionen, denen sie blind vertraut hatten, so wie ein Kind seinen Eltern
vertraut. Die alte Welt ging zugrunde, und unsere moderne Welt wurde geboren,
als unmittelbare Folge des Krieges - weniger des Ausgangs der Kämpfe als
vielmehr all des Schrecklichen, was die Soldaten, ganz normale Männer, gesehen
und erduldet hatten.
    Was also war der Krieg für den einfachen Soldaten? Um
überhaupt erst an die Front zu kommen, musste er mehr als dreißig Kilometer am
Tag marschieren, und das mit zwanzig bis fünfundvierzig Kilo Gepäck. Und an der
Front musste er dann vielleicht den ganzen Tag bis unter die Achseln im
Schlamm stehen. Geschlafen hat er selten mehr als zwei Stunden am Stück, und
die Erschöpfung war eine der Hauptursachen für Traumata. An der Westfront waren
für fast fünfzig Prozent der Opfer nicht die Kampfhandlungen verantwortlich,
sondern die Umstände, in denen die Männer lebten. Fußbrand. Läuse. Ratten.
Ratten hatten im Krieg Hochkonjunktur. Zwei Ratten konnten in einem einzigen
Jahr über achthundert Nachkommen produzieren, sodass bald Abermillionen von
ihnen über die Leichen ausgeschwärmt sind ...«
    Die Jungen hören mit offenem Mund zu. Sie verschlingen
solche Details, je grausiger, desto besser - aber was macht das schon?
Hauptsache, sie zeigen Interesse, oder etwa nicht? Wenn es auch
zugegebenermaßen nicht jeder so sieht.
    »Ich frag mich nur, ob das alles in der Prüfung
drankommt«, ist Jeekers Prendergasts nervöses Näseln zu vernehmen. »Weil's
nicht im Buch steht, mein ich.« Die Klasse stöhnt, aber Jeekers lässt sich
nicht beirren. »Weil doch, äh, laut Lehrplan diese Woche der Osteraufstand
dran wäre ...«
    »Ja, wann machen wir denn irische Geschichte?« Jeekers
findet einen ungleichen Verbündeten in Muiris de Bhaldraithe, der sich aus der
letzten Reihe zu Wort meldet.
    Howard breitet beschwichtigend die Hände aus. »Wir
haben genug Zeit für beides, versprochen -« Draußen auf dem Kies knirschen
Räder, und sein Kopf fährt unwillkürlich herum. Ist das etwa ...? Doch nein, es
ist nur Pater Green, der von einer seiner Fahrten zurückkehrt. Howard sammelt
sich und wendet sich wieder den

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