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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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kapitulierte, hatte Howard überrascht. Er hatte
Schreie, Hiebe, Hautabschürfungen erwartet, doch sie war einfach nur aufs Sofa
gesunken, als hätte er ihr einen Totschläger auf den Hinterkopf gehauen. Sie
weinte länger und heftiger als all die anderen Male zusammen. Und er konnte
sie nicht trösten; er war zu einem Monster geworden, dessen Berührung nur
Schmerz zufügt.
    Am nächsten Morgen ging sie. Seitdem hat er sie nicht
mehr gesehen. Wahrscheinlich wohnt sie bei jemandem aus dem Sammelsurium von
Freunden, die sie sich hier zugelegt hat - Arbeitskollegen, Leute, die sie in
Internetforen von Auslandsamerikanern kennengelernt hat, sonstige Emigranten
und an den Rändern des Dubliner Lebens gestrandete Schiffbrüchige. Ihre Sachen
holt sie, wenn er nicht da ist. Jedes Mal, wenn er von der Arbeit nach Hause
kommt, ist wieder irgendeine Kleinigkeit verschwunden - es ist wie ein Einbruch
auf Raten.
    Das Haus fühlt sich anders an ohne sie. Sie hat zwar
noch Kleider im Schrank, ihr Fön liegt noch auf dem Toilettentisch und ihr
Rasierer auf der Ablage in der Dusche, aber die Räume wirken nackt und kahl.
Ihre Abwesenheit beherrscht das Haus und wird paradoxerweise zu einer
physischen Anwesenheit, einer greifbaren Gestalt, als sei nach ihrem Auszug
diese Leere eingezogen und nähme den Raum ein, den sie verlassen hat. Eine neue
Stille ist da, die von der voll aufgedrehten Stereoanlage nur teilweise gefüllt
werden kann, und die Luft, die Howard empfängt, wenn er die Haustür
aufschließt, ist jetzt klar und rein, rauchlos, geruchlos, angenehm.
    »Hättest du ihr bloß nichts von Aurelie erzählt«, sagt
Farley. »Den Teil hättest du doch weglassen können.«
    »Es war aber nicht fair gewesen, ihr nur die Hälfte zu
erzählen.«
    »Aber jetzt hast du alle Brücken hinter dir
abgebrochen. Die nimmt dich nicht wieder zurück.«
    Howard seufzt. »Was hätte ich denn tun sollen, Farley?
Wenn man die Hand im Feuer hat...«
    »Was?«
    »Das hat mein Dad immer gesagt. Wenn man die Hand im
Feuer hat, muss man irgendwann einsehen, dass es nur eine Lösung gibt: die
Hand wegziehen. Aurelie war nur der Katalysator; früher oder später wär's so
oder so passiert.«
    Aber er ist sich da nicht so sicher. Hätte er Aurelie
nicht kennengelernt, wäre es vielleicht nie so weit gekommen, vielleicht hätte
er nie den Mut gefunden, Halley zu verlassen, vielleicht wäre er mit ihr
zusammengeblieben, sie hätten geheiratet, und er hätte bis an sein Lebensende
nie erfahren, wie sich wahre Liebe anfühlen kann - wie einzigartig, wie
strahlend, wie vollkommen. Durch Aurelie ist alles anders geworden, und seine
Beichte hat er im Grunde auch für sie abgelegt, als eine Art Gebet an sie, ein
Glaubensbekenntnis, um darauf ein anderes Leben aufzubauen.
    Ein Versuch auch, sie wieder hinter der Wolke
hervorzuzaubern, hinter der sie verschwunden ist. Nach den Ferien ist sie
nicht wieder erschienen; dem Automator zufolge haben »unvorhergesehene
Umstände« sie gezwungen, länger wegzubleiben. Jeden Tag sieht Howard ihre
Klassen niedergeschlagen vom Geografie- zum Hausaufgabenraum trotten oder
Pappe- und Papierbündel wie Votivgaben zum Papiercontainer tragen, mit
besorgten, hoffnungsvollen Mienen, wie Indianer bei einem Regentanz. Er weiß,
wie ihnen zumute ist. Seit den Ferien befindet er sich in einem permanenten
Spannungszustand, darauf gefasst, dass jeder Augenblick sie wiedererstehen
lassen könnte. Selbst außerhalb der Schule, beim Einkaufen im Supermarkt, beim
Warten an einer Ampel, hält er den Atem an. Aber die Tage sind eine Abfolge von
Scheinschwangerschaften, auf die keine Entbindung folgt.
    »Unvorhergesehene Umstände.« Er kann sich vorstellen,
was - oder wer - da im Spiel war. Seabrook sollte eine Karrierepause für sie
sein, ein Intermezzo; sie hatte nicht vorgehabt, sich mit jemandem zu liieren,
schon gar nicht mit jemandem, der bereits liiert war. Jetzt fragt sie sich, in
was sie da hineingeraten ist und ob sie noch rechtzeitig wieder herauskommt.
Wenn er nur mit ihr reden könnte! Wenn er ihr nur sagen könnte, dass die Sache
für ihn ganz real ist, realer als alles, was er je erlebt hat! Oder wenn er
sie, noch besser, beide in die Zukunft versetzen könnte, in eine Zeit, in der
sie ein gemeinsames Leben begonnen haben, in der Chaos und Leid dieses
Zwischenstadiums abgeklungen sind, die Flut flüchtiger Momente, die seine
Vergangenheit ausmachen, ersetzt durch etwas Heiteres, Beglückendes, von innen
Erleuchtetes ...
    Dass

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