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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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angesichts der Erkenntnis, dass
seine große Geste in Wahrheit ein Witz ist, so peinlich wie brutal, was ihren
Ausgang betrifft. Und doch hört er gleichzeitig eine Stimme in seinem Inneren
sagen: Jeder Dämon hat eine verletzliche Stelle - jeder Dämon hat eine
verletzliche Stelle - wieder und wieder, als säße die Eule aus Hopeland auf
seiner Schulter - jeder Dämon hat eine verletzliche Stelle -, dann zieht Carl
seinen Schulpullover aus und krempelt die Hemdsärmel auf, und die Stimme
verstummt zugleich mit denen der anderen.
    Carls Arm ist vom Handgelenk bis zum Ellbogen mit
langen, schmalen Schnitten übersät. Es sind sicher hundert, unterschiedlichen
Alters - manche flammend rot, andere weißlich, milchig, mit Resten von Schorf
-, und sie winden sich so dicht an dicht seinen Unterarm hinauf, dass kaum noch
ein Stück unversehrte Haut zu sehen ist, so als hätte man das Ganze aus
winzigen roten Fäden neu zusammengewebt. Jetzt sieht er Skippy zum ersten Mal
an, und obwohl er weiter lächelt, kann Skippy erkennen, wie das Gehirn hinter
diesen Augen, im Griff einer lodernden, tosenden Gewalt, ruckt und zuckt und
zischende Kurzschlüsse erzeugt, und mit einem Mal ist ihm sonnenklar, dass Carl
keine Bremsen und kein Gewissen oder sonst was in der Art hat, und als er
gesagt hat, dass er ihn zerquetschen wird, hat er genau das gemeint -
    »Okay, also dann.« Das ist natürlich Gary Toolan; er
bugsiert die letzten Nachzügler aus dem Ring und ruft die beiden Kämpfer zu
sich, damit sie einander die Hand schütteln. Es ist, als gäbe er dem Tod die
Hand; Skippy spürt, wie das Leben aus ihm herausgesaugt wird, und eben geht
ihm auf, dass er noch nie mit irgendwem gekämpft hat und nicht mal weiß, was er
überhaupt tun soll, die Vorstellung, zu jemandem hinzugehen und ihn zu schlagen,
wirkt absurd - da schreit Gary Toolan »Los!«, und Carl stürzt sich auf ihn, und
er kann sich um Haaresbreite wegducken. Im Nu verwandelt sich die Menge in eine
rasende, kläffende Meute, wie wenn man einen Mixer eingeschaltet hätte, ihre
Stimmen verschmelzen zu einem einzigen blutrünstigen Gurgeln, in dem nur selten
einzelne Wörter auszumachen sind, töten - zermalmen - scheiß - zu Boden, und auch die Gesichter sind weitgehend verschwommen,
was vermutlich ein Segen ist, denn die zwei oder drei, die Skippy flüchtig
aufblitzen sieht, sind zu Masken von solch reinem, unverfälschtem Hass
verzerrt, dass er, wenn er innehielte und darüber nachdächte - stattdessen
versucht er sich an Djeds Tricks aus Hopeland zu erinnern (besser als nichts,
oder?), wie er den Eisdämon und den Feuerdämon bekämpft, Rolle vorwärts und
eine Gerade, Drehkick, Tigerwurf - manchmal übt Skippy die im Zimmer, wenn
Ruprecht nicht in der Nähe ist, allerdings muss als furchterregender Gegner
immer nur sein Kissen herhalten -, aber sie entfallen ihm auf der Stelle, als
die Fäuste auf ihn zuschnellen und er es wieder nur knapp schafft, ihnen
auszuweichen, bloß dass er es nicht schafft, Carl hat ihn zu fassen gekriegt,
ein hässliches Geräusch, als Skippys Pullover reißt, Carl holt aus, und das
war's, damit ist der Kampf auch schon beendet -
    Und dann kommt aus Carls Hosentasche ein beschwingter,
elektronischer Klingelton. Carl bleibt wie angewurzelt stehen, die Faust noch
halb erhoben. Es klingelt fröhlich weiter - Gelächter erhebt sich, es ist
dieser Song von Bethani, »3Wishes«. Carl lässt Skippy zu Boden
fallen und holt das Handy heraus. »Hallo?« Er entfernt sich in Richtung der
Lorbeerbäume.
    Ruprecht kommt in den Ring gestolpert und hilft Skippy
wortlos auf die Beine, und der, in schnell erkaltenden Schweiß gebadet,
wartet - die Fäuste weiter geballt, am ganzen Leib zitternd, ohne einen Blick
für die Zuschauer, die noch zehn Sekunden zuvor grölend nach seinem Blut
gelechzt haben -, während Carl unter den Bäumen auf und ab läuft und leise
durch zusammengebissene Zähne in sein Handy spricht. Einen Augenblick später
pfeffert er das Teil mit einem angesäuerten »Ist gut« zu Boden. Diesmal lächelt
er nicht, als er wieder zu ihnen hin marschiert - selbst die Schaulustigen
weichen unwillkürlich zurück, und Skippy entdeckt bei sich ein komplett neues
Register von Angstzuständen -»Los!«
    - und schon sind sie wieder mittendrin in dem röhrenden
Mixer, dem strudelnden Gebrüll, den Hassmasken, durch die Carl in seinem weißen
Hemd zu ihm hinprescht, so schnell wie ein ganzes Dutzend Carls, die aus allen
Richtungen auf ihn einstürmen,

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