Murray,Paul
auf den anderen vom Heizungsraum und wild
wuchernden Brombeersträuchern eingefasst, ist er von keinem Punkt der Schule
aus einsehbar; seit Menschengedenken ist das der Ort, an dem offene Rechnungen
beglichen werden. Im Nu ist es gesteckt voll, und aus dem Stimmengewirr geht
klar hervor, dass wenig Zweifel über das Ergebnis bestehen: Nicht die
Verheißung eines spannenden Kampfes mit ungewissem Ausgang hat die Menge
hergelockt, sondern die Aussicht, Blut fließen zu sehen.
»Das ist doch total bekloppt«, sagt Mario verdrossen.
»Carl schlägt ihn zu Brei. Skippy kann von Glück sagen, wenn er je wieder
einer Frau nachglotzen kann.«
»Meint ihr, wir sollen irgendwas unternehmen?«, fragt
Niall.
»Unternehmen?«, wiederholt Dennis. »Was denn?«
»Ihn irgendwie stoppen oder so.«
»Und diesen Neandertaler da mit der großen Liebe seines
Lebens abzischen lassen, hä?« Wie viele Pessimisten kommt Dennis erstaunlich
in Fahrt, wenn die Lage tatsächlich katastrophal ist. »Er soll stillhalten und
noch vier Jahre wie ein Stück Scheiße auf sich rumtrampeln lassen, damit er
sich dann eines Tages, wenn er Buchhalter geworden ist und ein mittelmäßig
aussehendes Mädchen geheiratet hat, das die Obermacker nicht wollten, mit
einer richtig fiesen Wirtschaftsprüfung an Carl GmbH & Co. KG rächen kann?«
»Aber wozu soll ein Kampf gut sein, den er unter
Garantie verliert?«
»Das weiß ich auch nicht«, räumt Dennis ein. »Aber wir
lassen uns jetzt seit neun Jahren in diesem Dreckloch herumschubsen, und wenn
irgendwer endlich genug Mumm zusammengekratzt hat, was deswegen zu unternehmen,
werde ich ihn nicht aufhalten. Vielleicht macht es uns anderen ja Mut, nicht
mehr länger bloß so ein Haufen von Losern zu sein. Das ist übrigens genau das,
worum es in dem Gedicht von Robert Frost geht.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, es ginge um Analsex.«
»In Gedichten kann es um mehr als nur um eines gehen.
Macht ihr, was ihr wollt. Ich bin für Skippy. Er weiß, was er tut. Ihr werdet
schon sehen.«
Skippy sitzt in einer verriegelten Klokabine, das
Röhrchen mit den Pillen in der Hand. Er weiß, dass er es besser lassen sollte.
Aber sein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich davonfliegen, und vielleicht
reicht ja bloß eine halbe, damit sich nicht mehr alles um ihn dreht -
Das Handy klingelt. Sie ist dran! »Daniel, willst du mit
Carl kämpfen?«
Woher weiß sie das? »Will ich was?«, sagt er und stopft
die Pillen hastig zurück in seine hintere Hosentasche.
»Großer Gott«, ächzt sie. »Daniel, stimmt das?«
»Es hat nichts mit dir zu tun«, sagt er.
»O Gott«, wiederholt sie atemlos. Es klingt, als wäre
sie noch mehr durch den Wind als er, was trotz allem einen kleinen warmen
Funken in seinem Herzen zum Glühen bringt. »Daniel, Carl ist gefährlich, du weißt nicht, was er vorhat -«
»Darf ich dich etwas fragen?« Er will eigentlich nicht,
aber er kann nicht anders. »Seid ihr, du und er ... seid ihr, äh ...«
Ihr Seufzen gleicht schon fast einem Aufstöhnen. »Hör
zu, Daniel -« Sie unterbricht sich und seufzt erneut; erwartet, sein Inneres
hat sich komplett zu einer irrwitzig straffen Feder zusammengerollt, die ihm
das Kinn zwischen die Schultern zieht. »Ich hab Carl seit vor der
Tanzveranstaltung nicht mehr gesehen. Aber er fantasiert sich krauses Zeug
zusammen. Er ist nicht zu bändigen, Daniel. Also halt dich von ihm fern.«
»Keine Sorge«, sagt Skippy schlicht und durchaus
heldenhaft.
»Aarrgh - ich meine es ernst. Es ist dumm, mit ihm zu
kämpfen. Das brauchst du nicht. Verstehst du? Komm einfach zu mir nach Hause,
wie wir es ausgemacht haben, okay? Halt dich von Carl fern und komm direkt her.«
»Okay.«
»Versprochen?«
»Versprochen«, sagt er mit gekreuzten Fingern und
öffnet die Kabinentür.
Hinter der Schwimmhalle drängen sich immer noch mehr
Jungen auf immer engerem Raum zusammen. Zigarettenrauch vernebelt die Luft, und
unsichtbare Botschaften fliegen hin und her, lassen kaum noch Sauerstoff zum
Atmen übrig. Die Moral im Juster-Lager hat einen weiteren empfindlichen Schlag
infolge der Feststellung erlitten, dass Damien Lawlor Wetten zum Kampf
annimmt: fünfzig zu fünfzig auf einen Sieg von Carl binnen zwanzig Sekunden
oder weniger, und zehn zu eins darauf, dass Skippy einen Krankenwagen braucht,
mit dem Vorbehalt, dass es ein richtiger Krankenwagen sein muss und sie ihn auf
einer Tragbahre abtransportieren. Damien begegnet ihren Missfallensäußerungen
mit seinem
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