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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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mit blitzschnellen Fausthieben, jedes Mal ein
bisschen näher, millimeterknapp vorbeisausend, und Skippy duckt, windet,
rettet sich, mit jedem letzten Gramm Energie, das ihm noch verbleibt in dem,
was Stunden zu dauern scheint, vermutlich aber nur eine Handvoll Sekunden ist -
    Und dann strauchelt er, das eine Fußgelenk knickt seitlich
unter ihm weg.
    Alles vollzieht sich wie in Zeitlupe.
    Carl reckt beide Fäuste über dem Kopf empor, bereit zu
einem Hammerschlag -
    Skippy steht bloß da, nicht mehr ganz sicher auf den
Beinen -
    Und alle grölen in der Gewissheit, dass er erledigt ist,
sobald er sich den ersten Schlag eingefangen hat, und dann geht der Spaß erst
richtig los -
    Als die Fäuste auf ihn herunterschwingen, holt er
blindlings aus -
    Keine Ahnung, was er eigentlich vorhat, zuschlagen oder
abblocken -
    Aber seine Faust landet mit voller Wucht auf Carls
Kinn, der Aufprall geht ihm durch Mark und Bein, Carls Kopf kippt zur Seite -
    Er geht zu Boden -
    Und kommt nicht wieder hoch.
    Lange Zeit passiert gar nichts; es ist, als hätte
irgendwer der Welt allen Klang ausgesaugt. Und dann fangen alle an zu johlen!
Ungläubig, wie verrückt, völlig außer sich, als dürften sie zum ersten Mal in
ihrem Leben so richtig johlen - lachen und juchzen und auf und ab hüpfen wie
die Munchkins im Zauberer von
Oz, wenn Dorothy mit
ihrem Haus auf der Hexe landet, eben die Jungs, die einen Wimpernschlag früher
noch Carl zugegrölt haben, er solle Skippy die Eingeweide rausreißen. Was
Skippy durchaus zu denken geben sollte, aber er ist zu benommen, um einen
klaren Gedanken zu fassen, und da stürmen auch schon seine Freunde auf ihn
los.
    »Ein Glaskinn.« Niall ist baff. »Wer hätte das
gedacht?«
    »Er hat den Trick gebracht«, erläutert Mario. »Den
italienischen Karatetrick, schon klar, oder?«
    Der Einzige, der offenbar nicht in Feierlaune ist -
abgesehen von Damien Lawlor, der zusammengekauert dahockt und mit aschfahlem
Gesicht vor sich hin flüstert: »Ich bin ruiniert...« -, ist Skippy selbst. Er starrt auf den Kiesfleck, auf dem eben noch
Carl gelegen hat. Wo ist er hin?
    »Hat die Biege gemacht«, mutmaßt Niall.
    »Will ich ihm auch geraten haben«, bemerkt Ruprecht
finster.
    »Komm schon, Skip«, Mario nimmt ihn beim Arm. »Wir sollten
dich ein bisschen herrichten, bevor du deine kleine Lady besuchen gehst. Mit
dir lässt sich ja selbst im Bestzustand nicht viel Staat machen.«
    »Platz da für den Sieger!«, ruft Geoff und macht eine
Schneise zum Turm frei.
    Zehn Minuten später - Haare geglättet, Zähne geputzt,
den irreparabel zerfetzten Schulpullover gegen einen sauberen Kapuzenpulli
eingetauscht - verlässt Skippy erneut das Schulgebäude und strampelt auf Nialls
Rad bergauf zum Tor. Der Regen hat sich mitsamt den Wolken verzogen, und am
Horizont geht tiefrot glühend die Sonne unter, knalliges Rosa und warmes Rot
türmen sich übereinander in einem atemlosen, rasenden Wirrwarr wie ein Herz im
Liebesrausch; und als er sich leicht wie eine Feder in den Verkehr einfädelt
und die letzten Ratschläge seiner Kameraden -»Vollen Hardcoresex!« - »Kotz sie
bloß nicht voll!« - hinter sich im Abend verwehen lässt, kommt endlich
Hochstimmung bei ihm auf und breitet sich mit jedem zurückgelegten Meter sternförmig
weiter aus. Über ihm verschmilzt das schwere Blätterdach der Bäume mit der
einbrechenden Dämmerung; die Schnellstraße zischt an ihm vorbei, ihre hohen
Peitschenleuchten scheinen im Zwielicht zu sirren; Kette und Räder zu seinen
Füßen surren fröhlich dahin, die Tüte mit den Pralinen baumelt vom Lenker, und
da biegt er auch schon in ihre Straße ein, vorbei an den alten steinernen
Häusern mit ihrer Efeuverkleidung, und hält vor ihrem Tor. Und da, am Ende der
Zufahrt, genau wie er es sich ausgemalt hat, steht sie - im Lampenlicht auf der
Schwelle - und lacht, als hätte er soeben den besten Witz aller Zeiten erzählt.
     
     
    Anfangs muss er sich immer wieder zwicken, um sich zu
vergewissern, dass alles so ist, wie es ist: Es erscheint ihm unwirklich, wie
eine dieser Reklamen für Überraschungseier, wo alle in verschiedenen Sprachen
sprechen.
    »Da bist du ja!«, ruft sie und streckt ihm die Arme
entgegen. Als sie sich vorbeugt, um ihm einen Kuss zu geben, fällt ihr Blick
auf den blauen Fleck an seiner Schläfe, aber sie gibt keinen Kommentar dazu ab.
»Meine Eltern sterben vor Neugier, dich kennenzulernen«, sagt sie stattdessen
und fuhrt ihn an der Hand ins Haus. Sie gehen durch einen

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