Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Weil … ach, ist auch egal.« Harald hibbelt nervös auf seinem Bambusstuhl und legt die Hände auf seinen Bauchansatz.
Ich komme ihm zu Hilfe. » Familie ist nicht so dein Interessengebiet?«
» Hm, nö.«
» Meins auch nicht!«
» Deine Schwester, also Kristin … dich finde ich ja nett.«
Die romantische Stimmung scheint Harald zu beflügeln. Nur schwebt er gerade in einen Untergang, der nichts mit der Sonne zu tun hat. Männern, wie er einer ist, würde sie höchstens die Schnürsenkel zubinden, aber mehr wäre nicht.
» Dankeschön, ooh.« Kristin rollt die Augen. » Was für ’n Job hast du denn?«
» Bei der Stadt.«
» ›Bei der Stadt‹ … das ist noch kein Beruf.«
» Ich bin stellvertretender Gruppenleiter im Finanzamt.«
Habe ich mir fast gedacht, dass man ihn da in seinem natürlichen Lebensraum antrifft.
» Toll«, übertreibt Kristin und dreht sich jetzt so, dass auch ich ihre Mimik sehen kann, » dann hast du also Geld? Nur damit ich weiß, ob sich’s lohnt.«
» Ein Sparbuch«, erwidert Harald.
» Oh gut. Und wird das bald wegen Überfüllung geschlossen?«
» Äh, wie jetzt?«
Ich schreite ein. » Harald … Scherz!«
Warum sehe ich mich eigentlich gezwungen, ihn vor meiner Spaß-Schwester zu schützen? Okay, Kristin muss sich ja nicht gerade in einen Harald verlieben, aber mit ihrer immensen Ironie verprellt sie sich jeden Typen.
» He, Bruder, mal hergucken.« Antje fotografiert mich beim Futtern.
» Ein perfektes Bild, bis aufs Motiv«, bemerkt Kristin knapp.
Kurt, der uns gegenübersitzt, fasst sich an die Kappe, und ihm steht unversehens der Mund offen. Auch wegen des Hähnchenschenkels, den er sich gerade reinschieben will. Vor allem aber wegen Kristins Kommentar.
» Erst tust du so unschuldig, und dann lederst du hier ab. Aus dir werde ich nicht schlau.«
Kristin simuliert Entrüstung, was ihr aber nicht wirklich gelingt.
Ich nicke. » Willkommen im Club, Kurt. Das geht mir seit 29 Jahren so.«
Jana klatscht in die Hände. »So, ihr Lieben, gleich werden uns einheimische Tänze vorgeführt.«
Innerlich pralle ich zurück und verschränke ablehnend die Arme. Nee, bitte nicht. Hüpfen die dann hier im Baströckchen herum? Kein Interesse, echt nicht. Wenn ich im Urlaub Folklore haben will, gehe ich in eine Tabledance-Bar. Richtige Tische haben die hier allerdings gar nicht, dafür gibt’s, nun ja, jede Menge Stangen. Aus Holz, aber immerhin. Wenn ich das jetzt laut sage, wäre ich komplett als Pauschaltourist geoutet. Na und wenn! Jana macht doch hier die ganze Zeit einen auf Individual-Trippeltour. Die für uns so individual ist wie für viele tausend andere Reisende auch!
» Folklore, interessant«, meint Sven.
Wie will er das denn durch seine Sonnenbrille beurteilen? Auch im Dunkeln hat er die nicht abgesetzt. Ich denke, du bist mein Kumpel? Surferschnösel. Ach so, er will wohl bei Jana punkten, das ist natürlich okay.
Auf ihr Zeichen dudelt Musik über die Tische. Aus dem Hintergrund trippeln Tänzerinnen rhythmisch auf uns zu.
» Bloody beautiful!« Toni klatscht begeistert in die Hände.
Ihre Kostüme sind bestimmt traditionell und authentisch und das alles. Nach zwei Minuten reicht’s mir dann aber auch.
» Sie zeigen, wie ein Junge aus dem Dorf um sie wirbt«, erläutert Jana.
» Die arme Sau! Die lassen den doch eh abblitzen.« Die jaulende Musik übertönt mich.
Was soll das, kriege ich hier jetzt meine Pubertät vor Augen geführt? Bloß nicht! Die habe ich nachträglich weggesoffen, da ist jetzt nur noch ein schwarzes Loch im Gehirn. Wer war denn in der Tanzschule meine feste Partnerin? Die Discokugel, quasi. Manchmal hat sich Adelheid mit den hochgesteckten Zöpfen und der festen Zahnspange meiner erbarmt. Oder, wenn ich Glück hatte, die resolute ältere Tanzlehrerin:«… und 1, 2, Wie-ge-schritt! Junge, dein Becken darf dabei nicht stehen bleiben!«
Zum Abschlussball wurden meine Mitschüler von ihren Freundinnen begleitet, nur ich hatte keine.
» Und, Andi, mit wem gehst du hin?« Das Mädchen war sicherlich nur neugierig, trotzdem hat sie mich vor der ganzen Klasse blamiert.
» Ich … ich geh mit meiner Laterne.«
Bravo und Dr. Sommer haben mir meine Eltern verboten, das war Schweinkram. Stattdessen haben sie mich mit den Schlümpfen aufgeklärt. Mit den Schlümpfen! Ich habe jahrelang gedacht, man müsse blau sein, um Sex haben zu können. Gut, das mögen manche Männer heute noch denken, aber … genau so war’s. Ich hatte keine
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