Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Jugend, ich hatte Pubertät!
Harald verfolgt die Aufführung sehr konzentriert, womöglich erhofft er sich Tipps. Auch Toni beobachtet die Tänze ziemlich aufmerksam. Nun ja, eigentlich eher die Tänzerinnen. Er ist 31, Single, männlich und nimmt daher die Adler-Perspektive ein: Beute erspähen, einkreisen, erlegen. Da soll mir doch keiner sagen, dass das in Asien anders läuft.
Nach 20 Minuten, die sich ziehen wie ein Zahnarzttermin, ist der Spuk endlich vorbei. Die jungen Tänzerinnen huschen in eine Pfahlhütte, alle außer mir spenden Applaus.
Unsere Kühlbox steht im Freien, wir greifen rein, Bier und Wein haben heute lange Ausgang.
» Andi, willst du dich nicht ein bisschen um Jana kümmern?«
» Nein, Mutti. Ich will Kissen und Decke holen und mich da drüben in die Ackerfurche legen. Da ist’s zwar noch ungemütlicher als in dieser dämlichen Stelzenhütte, vielleicht tippt mich auch ein Ahne von unten an, aber der Reis stellt wenigstens keine Fragen!«
» Ich mein ja nur.«
Gar nicht mal so schlecht, die Idee, draußen zu schlafen. Leider hat es mittlerweile merklich abgekühlt. Ich laufe etwas abseits ins Halbdunkle, wo den wenigen nackten Glühbirnen fast die Leuchtkraft ausgeht. Ein paar Meter weiter schlummern die Reisfelder. Jana ist mit Vera ins Gespräch vertieft. Ich pirsche mich ran. Frauengequatsche kann ja so amüsant sein. Mit einer Schulter lehne ich an einem dicken Holzstamm, dessen Schatten mich ins Dunkel hüllt.
» … also ehrlich. Macht einen auf locker, grinst aber blöde, wenn er angesprochen wird.«
» Stimmt«, pflichtet Vera Jana bei.
Zu lustig. Da sind wir gerade mal zwei Tage unterwegs, schon tratschen die Frauen über die Gruppe. Ty-pisch. Mal hören, wer das erste Opfer ist.
» Sätze stammeln kann er gut«, sagt Jana. War ja klar, sie haben bei ihrer Lästerei einen von uns Männern am Wickel. Jana gestikuliert. » Hallo … äh … ich … äh … bin der Andi.«
Was!? So darf sie doch nicht über mich reden! Sowieso niemals nicht, und noch weniger, wenn ich es hören kann!
Vera lacht. » Ich denke, Andi muss sich hier noch akklimatisieren. Solange er unsicher ist, stottert er eben oder klopft Sprüche.«
Lautlos rücke ich einige Meter weiter in die Nacht. Was labert Vera denn da? Unsicher, ich!? Frechheit. Ich habe mal in einer Schlange im Supermarkt darum gebeten, dass eine zweite Kasse geöffnet wird. Das ist doch nicht unsicher.
» Trinkst du einen mit?« Äh, was? Puh, Sven! Muss der mich denn so erschrecken. » Hier, Schnaps.«
» Gerne.« Den kann ich brauchen. Es ist sogar deutscher Schnaps, oh, der muss ihm ziemlich viel Gewicht im Gepäck wert sein.
» Na, wie läuft’s?«, frage ich und meine damit: Fang du an zu reden.
Sven schweigt. Er ist immer noch recht verschlossen, was ja nicht unangenehm ist, im Gegenteil, es muss ja nicht jeder Sprüche machen. Irgendetwas scheint ihn zu bedrücken.
» Schade, ohne Wellen, hm?«, frage ich.
» Was?«
» Nur so.« Naja, geht mich nix an, ich kenne ihn ja kaum. Ich weiß ja noch nicht mal, wie alt Sven ist, vermutlich Ende 30. Was soll’s, ich habe mit mir selbst zu tun. Er scheint ein netter Kerl zu sein und Deckel drauf.
» Wunderbare Nacht.« Sven starrt ins Schwarze und genießt den Augenblick.
» Jo.«
Außerdem fragen Männer untereinander nicht nach dem Befinden. »Befinden«, was für ein Weichei-Wort. Wir regeln das anders.
» Prost, Andi.«
» Prost, Sven.«
Genau, so.
Viele Striche auf der Getränkeliste später ist die Gruppendynamik kaum noch zu bremsen. Witze, es werden sogar Witze erzählt. Auch Mutti ist dabei und hält sich eine Ketchupflasche wie ein Mikro vor den Mund.
» Was meint Ihr, sollten katholische Priester heiraten dürfen?«
» Jaaa«, antwortet die Gruppe wie aus einem Mund.
» Eben, wenn die sich lieben …«
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder mir die Ohren zuhalten soll. Sonst mag ich solche Gags, nur von ihr bin ich es einfach nicht gewohnt. Die anderen amüsieren sich.
» Das ist meine Mutter.« Kristin klopft ihr zufrieden auf die Schulter. Krass, wenn ich bedenke, dass Mutti so eine richtige Pfarrei-Praline ist. Sie sammelt Spenden, verkauft Weihnachtskerzen und backt Reibekuchen beim Gemeindefest. Es gibt so Dinge, die man von seinen Eltern einfach nicht wissen will. Zum Beispiel ob und wenn ja, wie sie Sex haben. Aber Witze erzählen, da sollte ich mich vielleicht nicht so anstellen.
» Die Pointe habe ich kürzlich beim Klosterjubiläum gehört.«
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