Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Stille. Sonst nichts.
Okay, hier ist Ruhe, aber nicht die, die ich haben will!
Opium, ich erinnere mich an Tonis Worte, dass die Pflanzen hier überall wachsen. Vielleicht sind die Einheimischen alle zugedröhnt und können mich deswegen nicht wahrnehmen? Vielleicht sind sie so berauscht, dass ich sie nur auf ihrer eigenen Frequenz ansprechen kann? Ich sollte mich ebenfalls zudröhnen, um auf ihre Wellenlänge zu kommen!
Ein kleiner Junge lacht mich unter seinen pechschwarzen Haaren mit tiefdunklen Augen an. Der darf offenbar noch nichts rauchen, besser ist das.
» Hast du ’n Schneckenhaus oder ’nen Elfenbeinturm für mich?«
Verspielt pocht der Junge mit seiner kleinen Faust gegen meine Kniescheibe. Endlich höre ich Stimmen, mehrere Stimmen. Ihr Gebrabbel kommt näher, verstärkt sich im nächsten Seitenweg. Menschen, endlich Menschen!
Es sind … meine Leute. Zuerst biegt Harald um die Ecke. » Andi, so mitten auf dem Platz, da ist natürlich kein Schatten.« Dafür unter seinem Strohhut.
» Na, wie läuft’s so mit der Bergbevölkerung?«, fragt Walter schelmisch.
Ich schaue den kleinen Jungen an. » Wir haben uns schon angefreundet.«
» Diese vielen Grüntöne ringsum, dein Khaki ist auch dabei«, sagt Kurt launig.
Mechthild reagiert nicht auf ihren Mann, sondern lächelt mich an.
» Khaki ist doch keine Farbe«, stellt Vera fest.
» Pfirsich etwa?«, brummt Kurt.
» Dafür ist der Himmel schön blau.« Mutti genießt einfach. Offenbar hat sie gar nicht bemerkt, dass ich beim ersten Teil des Spaziergangs gefehlt habe.
Zwei Gassen weiter hängen papageienbunte Tücher vor einer Pfahlhütte an der Leine. Gerade hat sich eine alte Frau an einen Webstuhl gesetzt und demonstriert die Herstellung. Toni grinst. Okay, es ist also ein Fake, sie gibt uns nur das Gefühl, den Stoff direkt vom Handwerkstisch kaufen zu können. Mir egal, auch wenn’s noch so günstig ist – zu Hause kaufe ich so ein Zeug doch auch nicht. Die Frauen umringen den Webstuhl und nicken sich interessiert zu.
Kurt zieht seine Kappe ins Gesicht und schüttelt verzweifelt den Kopf. » Weiber! Warum habe ich nur geheiratet? Weil ich einfach dachte, dass mir Mechthild als Ehefrau weniger Ärger macht. Und jetzt fehlt mir der Mut, mich scheiden zu lassen.«
» Warum?« Surfer Sven durchbricht sein Schweigegelübde.
» Weil mein Ärger dann umso größer wird!«
Sven verzieht das Gesicht. » Also lieber zusammenbleiben, auch wenn’s wehtut – nur weil die Trennung noch schmerzlicher wäre?«
» Ach Sven, Mechthild kocht eigentlich ganz gut. Du musst mich auch nicht immer ganz wörtlich nehmen, ich bin doch im Urlaub.«
Wir Männer müssen zwangswarten, was nicht gerade der Erholung zugutekommt. Ich starre Kerben in einen Baumstamm.
» Daheim im Kaufhaus gibt’s für uns wenigstens Sitzecken«, bemängelt Walter.
» Noch besser wäre, wenn die hier so eine Art Ladenschluss hätten.« Kurt läuft im Kreis.
Auch Toni hat sich unter den kleinen Baum gestellt, er lächelt von einem Ohr zum anderen.
» Warum Kulturbeutel dabei?«, fragt er mich jetzt.
» Du, ich hab das Bad unseres ›Hotels‹ gesucht …«
» Hotel ist gut, haha. Gibt keins, im ganzen Ort nicht.« Wenn ich wüsste, was daran lustig ist, würde es mich bestimmt auch amüsieren.
Die Dunkelheit hat sich nicht angekündigt, sie ist auf einmal da. Während die Frauen weiter fachkundig die Tücher hin und her drehen, hat der Baum bereits Feierabend gemacht und seinen Schatten zurückgezogen.
» Noch nicht mal 18 Uhr und schon zappenduster?«, wundere ich mich.
Harald mischt sich in mein Selbstgespräch. » Ja, weil wir den Subtropen nahe sind.«
Entweder hat er seine Gehirnwindungen randvoll mit solchen Infos, oder er guckt heimlich bei Wikipedia nach.
» Hast wohl ’n Lexikon im Koffer?«, frage ich ihn.
» Koffer, shit, erinner mich nicht daran.« Kurt schlägt sich auf die Stirn.
Frittierte Frühlingsrollen, lecker. Zugegeben, in der Dunkelheit draußen zu dinieren, das hat seine ganz eigene Atmosphäre. Wie auf einem Campingplatz, nur dass Zelte, Waschraum und warme Duschen fehlen.
Harald hat sich zwischen Kristin und mir platziert. » Ich finde es ja spannend, dass ihr eure Mutter mitgenommen habt.«
» Eher umgekehrt.« Kristin reicht eine Reisschale weiter.
» Mit meiner könnte ich nicht zusammen verreisen«, sagt Harald nachdenklich.
» Wieso, ist sie dir zu peinlich?« Kristin holt schon wieder zum Schlag aus.
» Nein, zu anstrengend.
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