Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)
der Schande, der das Urteil über eine ganze Zivilisation sprach.
»Versucht mir zu folgen«, hörte ich Jennifer sagen. Sie wartete hinter dem nächsten Hügel, wo eine weitere Seitenstraße in den Boulevard einmündete. »Ich fahre vor. Wir müssen sie ablenken und uns gegenseitig Feuerschutz geben. Wir schlagen uns zum Zentrum durch und versuchen dann, den Hafen zu erreichen.«
Mit knatterndem Feldgenerator bog sie in die Hauptstraße ein und jagte auf die Absperrung zu, die den grotesken Park von einer der Verkehrsadern der Stadt trennte. Dort brodelte dichter Verkehr.
»Zum Zentrum?«, rief Lambert. »Ist sie wahnsinnig?«
»Tun Sie, was sie gesagt hat«, wies ich Taylor an.
Er beschleunigte und achtete darauf, sich dicht hinter Jennifer zu halten. Zum Zentrum – das mochte verwegen erscheinen. Aber sie hatte recht. Es gab keine andere Möglichkeit. Wir hatten keinen Schimmer, wo wir uns hier befanden. An welcher Ecke der 30-Millionen-Metropole mochte sich diese verabscheuungswürdige Stätte befinden? Wir konnten nicht auf gut Glück losfahren und hoffen, von selbst den Hafen oder eines der großen Industriereviere zu erreichen. Also mussten wir uns zur Innenstadt durchschlagen und versuchen, dort auf eine der großen Ausfallstraßen zu gelangen.
Jennifer hatte die Absperrung erreicht. Eine einfache Schranke und ein Wachhäuschen, das im Vergleich zu der megalomanen Anlage beschaulich wirkte, machten die direkte Durchfahrt unmöglich. Als Jennifer mit ungedrosseltem Generator auf die Schranke zuhielt, kamen zwei sinesische Wachleute aus ihrem Häuschen gelaufen. Sie hoben abwehrend die Hände. Und als sie eine Sekunde später die Situation durchschaut hatten, griffen sie nach ihren Waffen. Jennifer jagte aus nächster Nähe eine Salve aus dem Feldwerfer in die Bretterbude hinein, die in einer Wolke von Sägespänen in die Luft flog. Der Schlagbaum knickte herunter. Sie setzte über die Trümmer hinweg und raste auf die Hauptstraße hinaus.
Taylor hatte das Schild unseres Gleiters heruntergefahren. Wir gaben ein paar Schüsse auf die Wachmänner ab. Aber der Luftdruck hatte ihnen die Lungen zerrissen. Eine Blutlache breitete sich schnell um ihre Körper aus. Dann jagten auch wir auf die Hauptstraße. Vielleicht gelang es uns, im dichten Verkehr der Riesenstadt unterzutauchen. Millionen Fahrzeuge aller Art wälzten sich durch die Straßenschluchten dieser gigantischen und farblosen Stadt, die nach dem Willen ihrer Erbauer die Kapitale der Galaxis werden sollte. Von uralten einsitzigen Gleitern, die noch von stinkenden Verbrennungsmotoren angetrieben wurden, bis zu den großen lautlosen Mannschaftsbussen, die vierzig oder fünfzig schwergewichtige Sineser beförderten und die sich wie Dinosaurier durch das laute, lärmende Gewimmel schoben. In regelmäßigen Abständen spannten sich breite Brücken aus massivem Bauquarz über die Fahrbahn. Dort kreuzte eine andere zehn- oder zwölfspurige Hauptverkehrsstraße. Und nochmal einige Stockwerke darüber schwebten die gläsernen Aorten eines weiteren automatischen Beförderungssystems. Schlote, Türme, Fabriken und Bürogebäude ragten beiderseits der Straße mehrere hundert Stockwerke in den grauen Himmel, der kalt wie Stein war und von riesigen Schiffen durchkreuzt wurde. Verwaltungstrakte, Zentralen der Macht, die ganze Blocks einnahmen, erhoben ihre kilometerhohen Fronten aus Obsidianquarz und Baustahl, in denen sich die blasse Sonne dieses öden Systems spiegelte. Einmal ahnte man in der Tiefe eine Biegung des Sin River, der seine gletscherfarbenen Wasser dem Ozean zuwälzte.
»Hier entlang«, rief Jennifer. Sie schlängelte sich mit ihrem wendigen Gleiter durch den chaotisch dahinflutenden Verkehr, dass der arme Taylor alle Hände voll zu tun hatte, um ihr zu folgen. Jetzt hatte sie ein Schild entdeckt, auf dem eine Inschrift zum Stadtzentrum wies. Aus der Zeit der Koexistenz, als Lombok eine trügerische Epoche eröffnet hatte und ein Zusammenleben der Kulturen möglich geschienen hatte, gab es entlang der großen Hauptachsen einige Beschriftungen in uniertem Englisch. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie auszulöschen. Das war die Arroganz der Macht, die davon ausging, dass die Dinge sich ganz von selbst zu ihren Gunsten regeln würden. Sie kam uns jetzt zustatten.
Allerdings währte die Illusion, wir könnten uns in der sinesischen Rush Hour durchwursteln, nicht lange. Die Fahrer und Passagiere der anderen Fahrzeuge hatten uns längst als
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