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Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)

Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)

Titel: Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Falke
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eines verwundeten Gottes, der sich in seinen Fieberträumen wälzte?! Nur eine übermenschliche Qual konnte dieses Sein geschaffen haben, nur eine göttliche Selbstzerfleischung konnte diesen Ozean von Sinnlosigkeit ausbrüten.
    Ich ließ die Blicke über die Ebene streifen. Meine Aufmerksamkeit war ein ferner versprengter Stoßtrupp, der das schneeblaue Land durchstapfte und zwischen seinen Horizonten hin und her marschierte. Dazwischen musterte ich immer wieder den unhörbaren Orgelton des Nachthimmels. Jeder fallende Stern ließ meinen Atem erstarren, denn er konnte ein Schiff sein, das sich mit vorgestreckten Fahrwerkskrallen und gesträubten Stahlfittichen aus dem Himmel auf uns herabstürzte, aber alle diese Feuerbälle zersprangen knatternd und beregneten die Schwärze mit silbernem Funkenfall. Ich wandte mich zu Jennifer um, die neben mir saß. In Meditationshaltung hatte sie die Beine verschränkt. Ihre Hände ruhten, leicht geöffnet wie erwachende Lotosblüten, in ihrem Schoß. Ihre Haltung war stolz und aufrecht. Ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem weißen Schutzanzug in der künstlich verlangsamten Atmung tiefer Konzentration. Im fahlen Licht wirkte ihr Haar schwarz, während ihr Gesicht blass war. Die schmale Nase und die geschlossenen Augen schienen aus Porzellan geformt.
    Plötzlich schlug sie ein Auge auf und sah mich forschend an. »Beobachtest du mich?« Ihre Stimme kam von fern her, sie klang mechanisch, wie die Roboterstimme einer Automatik, die tonlos vorgefertigte Silben zusammenfügt, ohne eine Sprachmelodie zu besitzen.
    »Ich wollte dich nicht wecken«, sagte ich entschuldigend.
    Ein feines, an einen Buddha erinnerndes Lächeln hob ihre Mundwinkel. »Du kannst mich nicht wecken, da ich nicht schlafe«, verkündete der Computer, der in ihrer Kehle saß. Sie schloss das Auge wieder. Etwas rastete ein, als sie den Kontakt mit der Außenwelt kappte.
    Ich sah wieder in die Nacht hinaus. Eine körperlich wahrnehmbare Welle von Wärme durchströmte mich. Das stumme Beieinandersein während dieser sonderbaren Wache erfüllte mich mit einem Gefühl stillen Glücks. Ich wollte immer nur so dasitzen, sie an meiner Seite spüren und wissen, dass wir uns uneingeschränkt aufeinander verlassen konnten. Die Schicksalsgemeinschaft, die wir seit zwei Jahrzehnten miteinander bildeten, gewann hier, bei dieser hoffnungslosen Flucht am Ende des Universums, einen neuen Sinn.
    Keine Viertelstunde später kehrte Jennifer in den ursprünglichen Modus ihrer Trance zurück. Ich konnte registrieren, wie das Energiefeld, das sie umgab, seine Schwingung veränderte.
    »Wenn du willst, kannst du dich nochmal hinlegen«, sagte sie.
    Obwohl ich gespürt hatte, wie sie aus der Regenerations- in die Wachtrance gewechselt hatte, schrak ich zusammen, als sie das Wort an mich richtete. Ich sah sie verblüfft an und erntete ein überlegenes Lächeln.
    Ich tastete mich nach hinten, der warmen, metallischen Ausdünstung des Shuttles folgend, und legte mich wieder hin. In der unnatürlichen stickigen Hitze schlief ich augenblicklich ein.
     
    »Es geht los«, flüsterte eine Stimme. »Sie sind da.«
    Ich richtete mich stöhnend auf. Ungegenständliche Traumbilder wischten vor mir herum, während ein tosender Kopfschmerz meinen Schädel zerquetschte. Ein unterirdisches Donnern schien den ganzen Berg, in dessen Tiefe wir uns verkrochen hatten, zu erschüttern. Ich ahnte, dass die dumpfe Wärme im Shuttle an meinem Zustand schuld war, und angelte nach der Wasserflasche, um einen Schluck zu trinken. Im schwachen Licht eines Handflammers, der auf die niedrigste Stufe geschaltet war, erkannte ich Jennifer. Sie hatte den Helm aufgesetzt, das Visier aber noch geöffnet, um auf die Lokale Kommunikation verzichten zu können. In der Rechten hielt sie die entsicherte Offizierspistole.
    Ich setzte mich auf, langte nach dem Helm, um ihrem Beispiel zu folgen, und schwankte dann benommen aus dem Shuttle. Die bedrückende Enge der Höhle lastete auf meiner Brust. Ich nahm noch einen Schluck, warf die leere Flasche ins Shuttle zurück und lief dann hinter Jennifer her, deren weißer Anzug sich schwach von der Finsternis im Höhleninneren abhob. Als blaues, von einigen Sternen gefülltes Portal öffnete sich der Höhlenausgang vor uns. Draußen schien es vollkommen friedlich zu sein. Die Nacht dauerte noch immer an. Jennifer machte mir ein Zeichen, in ihrem Rücken zu bleiben. Dicht an ihren Fersen pirschte ich mich weiter nach vorne.

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