Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)
stattdessen drängte es sich immer dichter neben uns, als wolle es uns von unserer hochfragilen Bahn rempeln. Seine Aufbauten waren nur noch einen Steinwurf entfernt. Wir sahen alle Details seiner zerschrundeten Oberfläche. Aus nächster Nähe starrten wir in die gehärteten Mündungen seiner Geschützrohre. Wir konnten die Stacheln der Antennen und Sensoren erkennen. Und dann war uns sogar ein Blick auf seine Brücke gestattet. Wir sahen den schmalen, safrangelb erleuchteten Schlitz aus gepanzertem Quarzglas. Im Inneren hoben sich Module, Instrumententische, die Arbeitsplätze der Adjutanten, der Gefechtsstand ab. Ein breitschultriger Sineser in der graugrünen Uniform ihrer interstellaren Divisionen stand breitbeinig am Fenster und sah zu uns herüber. Er schien ein Nicken anzudeuten. Dann hob er einen Arm und machte den Offizieren in seinem Rücken ein abgehacktes Zeichen. Im gleichen Augenblick fiel das Schiff wieder zurück. Es löste sich förmlich auf. Das Flackern seiner Oszillationen wurde langsamer. Das Bild wurde von Mal zu Mal schwächer. Dann war es verschwunden.
Keiner von uns sprach ein Wort. Wir schossen in eisigem Schweigen dahin. Einige Minuten vergingen. Ich hatte aufgehört, mir auszurechnen, welche Entfernungen wir in dieser Zeitspanne überwunden hatten.
»Die Botschaft«, sagte ich irgendwann, »die er uns mitgegeben wollte, war nicht, dass sie uns bis hierher gefolgt waren, sondern dass sie die Verfolgung nun aufgeben.«
Jennifer brummte etwas vor sich hin. Mit glasigen Blicken musterte sie das Bild unserer Galaxie, die sich in ihrer ganzen Erstreckung vor uns aufbaute. Es war nicht festzustellen, ob sie konzentriert oder erschöpft war. Ich wurde etwas deutlicher.
»Wir sollen uns in Sicherheit wiegen und glauben, wir hätten sie abgeschüttelt. Aber darauf dürfen wir nicht hereinfallen.« Ich blickte Jennifer dringlich an und berührte mit Nachdruck ihren rechten Arm. »Wir müssen weiterfliegen«, sagte ich. »Auf keinen Fall dürfen wir Eschata oder die MARQUIS DE LAPLACE ansteuern!«
Jetzt sah sie mich müde an. Ihre Augen hatten etwas Erloschenes, sie gingen einfach durch mich hindurch. »Wofür hältst du mich«, fragte sie rauh. »Meinst du, ich bin so blöd?!«
Ich war verstimmt.
»Hm«, machte ich und wandte mich ab. Ich sah nach Backbord hinaus und betrachtete die genügsame Eleganz der Sternhaufen. Und dabei war ich so stolz auf meine einsamen Gedankengänge gewesen, auf meine Einfühlung in die verschlagenen sinesischen Strategemata!
Wir flogen dahin. Es war still an Bord unseres Shuttles, das sich leicht und unerschütterlich über diese Abgründe von Raum und Zeit schnellte. Hatten wir ein Ziel? Konnten wir eines haben? Ich vermutete, dass die Sineser die Lokale Gruppe als ihre Interessenssphäre betrachteten und dass ihnen alles, was sich jenseits des Großen Korridors ereignete, gleichgültig war. Jennifer hatte recht gehabt: diesseits der Großen Mauer gab es nichts, was sich ihrem Machtanspruch und ihrer beeindruckenden Technologie entziehen konnte. Aber jenseits davon? Ich stellte rasch einige Überschlagsrechnungen an. Dabei fiel mir etwas auf.
»Wie ist das eigentlich«, fragte ich. »Wenn wir uns nun soviel schneller als das Licht bewegen, fliegen wir dann nicht eigentlich in die Vergangenheit? Wir können Regionen erreichen, die wir nur als Bilder kennen. Und dieses Licht war Jahrmillionen unterwegs.«
Jennifer wandte sich mir lächelnd zu. Ich sah, wie sie die Mischung aus Schmollen und Erschöpfung abschüttelte. Sie konnte derlei an und ausknipsen wie die Positionslampe an der rechten Heckflosse unseres Shuttles. Zärtlich berührte sie mich an der Wange und streichelte meinen dichten Bart, in dem noch der rote Sand des namenlosen Planeten knirschte.
»Umgekehrt«, sagte sie. »Wir fliegen in die Zukunft.«
Ich stutzte. Dann rollte ich meine Überlegung noch einmal neu auf, verhedderte mich aber in den Dimensionen.
»Wir reisen dem Licht entgegen«, schmunzelte sie. »Wir sehen jeden Augenblick jüngere Zustände, weil ihre Abbilder unsere frühere Position erst noch erreichen müssen, aber wir kommen ihnen zuvor.«
Ich schüttelte den Kopf. Aber dann sah ich ein, dass sie recht hatte. Es war unglaublich. Wie in einem gigantischen Zeitraffer rasten wir dem Licht und damit der Zeit entgegen.
Die Grenzen des Kosmos, dachte ich schaudernd. Vielleicht hatten wir bisher eine vollkommen verzerrte Vorstellung vom Universum, weil unsere Perspektive eine
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