Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)
Schlag schallte laut und hell. Erst nach einigen Sekunden begann meine Wange zu brennen. Ich starrte sie entgeistert an. Die Tränen schossen mir aus den Augen. Seit sehr langer Zeit hatte ich mich nicht mehr so mies und so gut gefühlt. Sie schloss die Arme um mich und barg mich an ihrem Hals.
Am nächsten Morgen verließen wir diese melodramatische Welt. Wir zogen unsere sensoriellen Anzüge wieder an, die wir notdürftig geflickt und instandgesetzt hatten, holten die Sonnensegel ein, gingen an Bord, nahmen unsere Plätze ein und checkten die Funktionen des Shuttles. Während die Luken sich zischend schlossen, ließ Jennifer den Feldgenerator an, der mit gutmütigem Brummen lief. Dann zündete sie die Triebwerke und in Strudeln aus weißem Sand, der in konzentrischen Wellen unter uns auseinander stob, hoben wir ab. Eine Minute später war der Sonnenplanet nur noch ein jadegrüner Splitter im All, unser Aufenthalt im Paradies war eine anekdotische Erinnerung. Jennifer aktivierte den oszillierenden Warp. Mit unfasslicher Geschwindigkeit schossen wir weiter in den Raum hinaus.
Was den Kurs anging, so bedurfte es keiner Diskussionen, nicht einmal der Absprache. Es war klar, dass wir nicht auf direktem Weg zurückfliegen konnten. Der Große Korridor wurde von den Sinesern gesperrt. Der Punkt, an dem der Kommandant des Kreuzers die Verfolgung eingestellt hatte, bezeichnete die Demarkationslinie, die die Sineser beanspruchten und bis zu der ihr Interessensgebiet reichte. Natürlich boten die riesigen Räume genügend Möglichkeiten, sich vor den Sonden zu verbergen, die diese Zone durchleuchteten. Der MARQUIS DE LAPLACE war es jahrelang gelungen, unentdeckt im Korridor zu bleiben. Andererseits gab unser oszillierender Warp eine solche Dichte an Signaturen ab, dass, in den Korridor einzufliegen, dem Versuch gleichgekommen wäre, mit einem alten knatternden Gleiter bei Nacht an einer Polizeisperre vorbeizukommen. Und je näher wir an die Milchstraße herankämen, umso schärfer würden die Maßnahmen sein, die die Sineser zu ihrer Überwachung anstellten. Zur MARQUIS DE LAPLACE oder nach Eschata durften wir sie nicht führen. Und im erdnahen Raum war das Netz an Kontrollposten so dicht, dass es den sinesischen Spürkommandos ein leichtes sein würde, uns aufzubringen.
Im Korridor verstecken oder uns in einer der Dunkelwolken verbergen konnten wir aber auch nicht. Im Gegensatz zu einem großen Schiff wie der MARQUIS DE LAPLACE bot das Shuttle keine umfassenden Lebenserhaltungssysteme. Wir hatten unsere Vorräte an Wasser und Sauerstoff aufgefrischt und einige Kanister voll köstlicher Früchte mit an Bord genommen. Unser Tloxi-Granulat dagegen war weitgehend aufgebraucht, und wenn wir im interstellaren Raum operierten, mussten wir alle paar Tage eine Energiequelle anfliegen, um neues Plasma aufzunehmen. Und so hatten wir nur eine einzige Möglichkeit.
Wir flogen tiefer in das Galaxienfeld ein, das man vor einigen Jahrhunderten entdeckt und auf den Namen Große Mauer getauft hatte, das aber noch nie ein Mensch von Nahem gesehen, geschweige denn durchquert hatte. Es erstreckte sich in jeder Richtung über hunderte von Millionen Lichtjahren. Unzählige Milchstraßen bildeten eine wabenartige Struktur, die sich, wie die Milchstraße am irdischen Himmel, einmal quer durch den Kosmos zog. Sie war wie eine schillernde Schärpe um die Taille der Welt, wie ein Schleier, der das Antlitz des Universums verbarg. Es war das größte zusammenhängende Gebilde, das die Astronomie kannte. Größer konnte nichts mehr sein, denn nichts konnte größer sein als das All. Aber nicht nur Laertes war skeptisch gewesen, was diesen Punkt anging. Man konnte es nicht wissen. Was hinter dem Horizont lag, bekam man erst heraus, wenn man in See stach.
Trotz unserer Geschwindigkeit von über eintausend Lichtjahren in der Sekunde, die es uns erlaubt haben würde, unsere heimische Milchstraße in anderthalb Minuten vom einen Ende zum anderen zu durchqueren, benötigten wir mehrere Tage, um die Große Mauer hinter uns zu bringen. Unzählige Galaxien zogen durch unsere Fenster. Und doch waren nicht zwei von ihnen gleich. Sah die eine wie ein schwarzroter Sombrero aus, wirkte die nächste wie ein purpurfarbenes pulsendes Herz. Wieder andere stellten flache Diskusscheiben dar, oder sie klumpten sich zu kompakten Kugelsternhaufen zusammen. Es gab elegante Spiralgalaxien mit zwei Armen, die sie wie Tänzer in der Pirouette ausbreiteten, mit vier Armen
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