Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)
mehr als drei Stunden geschlafen. Ich überlegte, was dieser abgezehrte Johannes der Täufer haben mochte, dass eine Frau wie Jennifer sich lieber gemeinsam mit ihm in der äußersten Einöde aussetzen ließ, statt in der Sicherheit und dem Komfort der MARQUIS DE LAPLACE die Reise fortzusetzen.
»Ich schätze Sie«, begann er stockend, »als Kommandanten. Wir haben viel miteinander durchgemacht. Ich respektiere jede Ihrer Entscheidungen, und wenn ich sage, dass ich den neuen Einsatzbefehl als große Ehre auffasse, dann ist das keine Floskel ...« Er wand sich wie ein Rekrut, aber ich durfte ihn nicht zu tief sinken lassen.
»Worauf wollen sie hinaus?«, fragte ich, ohne meine Ungehaltenheit zu verbergen.
Er gab sich jetzt endlich einen Ruck, hob den Blick von seinen ineinander verstrickten Fingern und sah mich offen an. »Es laufen gewisse Gerüchte um ...«, stammelte er.
Ich winkte ab. »Dieses Schiff ist ein Dorf«, sagte ich. »Ich gebe nichts darauf, was die Leute tratschen. Sie etwa?«
Er kämpfte immer noch mit sich. Warum war er überhaupt hergekommen? »Ich möchte nur einiges klarstellen«, sagte er, »unter Offizieren und unter Männern.«
Ich ließ ihn weiterreden. Kurz nur flammte die Furcht vor einer beschämenden Eröffnung in mir auf. Aber dann hatte ich mich wieder im Griff. Er war nicht der Mann, der mir Hörner aufsetzte. Aber allein schon, dass er diesen Gedanken in mir aufkeimen ließ, war Grund genug, ihn für einige Zeit entfernen zu lassen. Je näher die Gefahr herankam, umso selbstgewisser wurde ich, denn ich würde ihr begegnen; ich war ihr schon begegnet.
»Man sagt, dass Major Ash hier war«, fuhr er fort. »Und dass sie sich für mich verwandt habe.«
Ich bemühte mich, eisiges Schweigen zu erzeugen, konnte aber nicht verbergen, dass die ganze Auseinandersetzung mich in Bedrängnis brachte.
»Ich möchte lediglich klarstellen«, sagte Reynolds, »dass dies nicht mit mir abgesprochen war und dass es auch nicht in meinem Interesse geschah. Ich sehe ein, dass Eschata I mir optimale Arbeitsmöglichkeiten bietet ...«
Ich brachte ihn mit einer Geste zum Verstummen.
»Auf Klatschereien gebe ich nichts«, wiederholte ich. »Und was Major Ash und ich zu besprechen haben, geht, mit Verlaub, niemanden etwas an.«
Er sank kleinlaut in sich zusammen.
»Ich denke, wir brauchen das nicht weiter zu vertiefen«, sagte ich und erhob mich mit zackiger Gebärde.
Er schnellte ebenfalls in die Höhe und legte die Hand an die Schläfe.
»Lassen Sie das«, machte ich unwirsch.
Ich reichte ihm die Hand und schüttelte die seine, die er mir zögernd reichte, heftig.
»Sie haben zehn Tage Zeit«, setzte ich hinzu. »Gehen Sie die Personal- und die Materiallisten sorgfältig durch. Wenn Sie noch irgendetwas benötigen, lassen Sie es mich wissen!«
Er knallte die Hacken zusammen, wirbelte herum und verschwand durch die Tür, deren Flügel ein wenig zu langsam auseinanderglitten, sodass er sich seitlich hindurchwinden musste. Ich blieb allein zurück. Müde ließ ich mich wieder auf den gravimetrischen Sessel fallen. Einige Minuten genoss ich die kalte Lust einer einsamen Entscheidung. Dann kehrte ich in meine Abteilung zurück, wo die Leute es jetzt geflissentlich vermieden, von ihrer Beschäftigung aufzusehen.
Der Chronist
Die Menschheit gibt es nicht. Es gibt nur Menschen. Der Gang der Völker durch die Untiefen und Einöden der Geschichte gleicht den Bewegungen überpersönlicher Individuen. Dabei gibt es nur die Je-Einzelnen. Konkrete Menschen. Und diese haben Schwächen. Planspiele für lange schlaflose Nächte sind es, in der Ziellosigkeit des Irrealis zu ergründen, was hätte sein können. Wäre die Weltgeschichte einen anderen Gang gegangen, wenn Alexander nicht jähzornig, Caesar kein von Genie beherrschter Epileptiker, Napoleon nicht zwergenhaft und Hitler nicht verblendet gewesen wäre? Die grundsätzliche Frage, erlauben wir uns noch einmal den älteren Ash zu zitieren, ist die, wie der scheinbar folgerichtige Gang des Weltgeschehens sich aus den Zufälligkeiten der tatsächlichen Begebenheiten rekrutiert. Wie Zwangsläufigkeit aus Kontingenz hervorgeht. Wie all die winzigen Schnipsel des Empirischen die durchgehende Woge des Sinnvollen ergeben. Ein Gebirge besteht aus lauter Steinen. Und dennoch sehen wir Berggestalten vor uns, individuelle Persönlichkeiten von großer Ausdruckskraft – mal wild, mal trotzig, mal schroff und mal erhaben –, und keine ungestalten
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