Muss ich denn schon wieder verreisen?
recht sie hatte. »Jetzt hilft nur noch rohe Gewalt oder männliche Kompetenz. Auf letztere würde ich allerdings lieber verzichten. Weißt du, wer das Zimmer neben uns hat?«
»Ich glaube, die Telefonstange«, antwortete sie nach kurzem Überlegen.
»???«
»Na, dieser Zweimetermensch mit den niedlichen kleinen Löckchen.«
Sie meinte den Regenmantel. Er hatte zwar nicht so ausgesehen, als ob er über besondere technische Fähigkeiten verfügte, doch versuchen wollte ich es trotzdem. Er schloß gerade seine Tür ab, als ich unsere öffnete. »Entschuldigen Sie, Herr… tut mir leid, ich weiß Ihren Namen noch nicht, aber kennen Sie sich mit Kofferschlössern aus?«
»Sie sind nicht gerade mein Spezialgebiet«, dämpfte er meine Hoffnung, »aber ich schau es mir mal an. Übrigens heiße ich Haftl, Gregor Haftl.«
Kleine Anmerkung am Rande: Für einen Nicht-Österreicher ist die originalgetreue Wiedergabe des dortigen Dialekts nahezu unmöglich, ganz abgesehen davon, daß dieses Buch zwanzig Seiten länger und zwei Mark teurer geworden wäre – sie reden nun mal so langsam und so langgezogen. Der Herr Verleger meinte, das Papier könne man einsparen. Die Übersetzungskosten auch! Notgedrungen wird Gregor also hochdeutsch sprechen, obwohl er ein waschechter Wiener ist.
Wir stellten uns ebenfalls vor, womit der Höflichkeit Genüge getan war, und dann nahm sich Herr Haftl der Sache mit dem Koffer an. Nach fünf Minuten kapitulierte er. »Fortschritt ist die Fähigkeit des Menschen, einfache Dinge zu komplizieren. Hat man Ihnen keine Gebrauchsanweisung mitgegeben?«
»Nein, aber die würde sowieso nichts nützen, oder sprechen Sie chinesisch?« Ich erklärte ihm die Sache mit dem geliehenen Koffer. »Irgendwie muß ich das Ding aufkriegen!«
»Wie wär’s, wenn wir dein Problem auf nachher vertagen?« schlug Irene vor. »Nach dem Essen werden wir eine Rundfrage starten, und du kannst sicher sein, daß du zweiundzwanzig verschiedene Ratschläge bekommst.«
»Praktische Hilfe wäre mir lieber.«
Also keine Dusche, statt dessen Katzenwäsche und Abmarsch in den Speisesaal. Der war leer. Aus einem dahinter liegenden Raum tönten Stimmen und Gelächter. »Na, dann wollen wir mal!« Mutig schritt Irene voran.
Die lange Tafel füllte das Zimmer fast vollständig aus. Wir quetschten uns, Entschuldigungen murmelnd, zu den beiden noch unbesetzten Stühlen durch.
»Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muß sehn, was übrigbleibt«, sagte das eine Lodenkostüm kichernd, während das andere mit einem weiteren Sprichwort aufwartete: »Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.«
»Hoffentlich haben die nicht den ganzen Büchmann auswendig gelernt«, flüsterte Irene. »Ich kenne nämlich diese Typen. Bei jeder passenden Gelegenheit rezitieren sie Poesiealben-Sprüche.«
Es war aber noch genug von dem herrlichen Lammbraten übriggeblieben, um satt zu werden. Das Tischgespräch drehte sich übrigens um die zweckmäßige Zubereitung von Sauerbraten und gipfelte in der Erkenntnis, daß er nur unter der Verwendung von Rosinen den Echtheitsanspruch erheben könne, wogegen Frau Heini energisch protestierte. »Rosine gehäre in dä Kuche noi und net zum Fleisch.«
Als das Dessert serviert wurde, war man zu dem Schluß gelangt, daß die norddeutsche und die süddeutsche Küche doch erhebliche Unterschiede aufweise.
»Ich bin mir vorgekommen wie beim Kaffeekränzchen meiner Mutter«, stöhnte Irene, als wir uns weisungsgemäß in die Halle begaben. »Die tauschen auch dauernd Rezepte aus. Schlankheitsrezepte! Zur Zeit stehen sie auf Tofu. Dabei sind sie alle um die Achtzig!«
In Ermangelung einer unter diesem Begriff üblichen Bar mit schummriger Beleuchtung und lauschigen Sitzecken versammelten wir uns im Foyer, wo Neonröhren gnadenlos helles Licht verbreiteten.
Die Dame an der Rezeption verfolgte unseren Aufmarsch mit einigem Erstaunen.
»Könnten wir vielleicht noch ein paar Stühle bekommen?« bat Frau Marquardt, denn außer einem Sofa und zwei dazugehörigen Sesseln war die Halle leer.
»Aber gewiß. Holen Sie sich nur welche aus dem Speiseraum.«
Wenig später saßen wir im Kreis und harrten der Stimme unseres Herrn beziehungsweise unserer Herrin.
»Ich schlage vor, daß wir uns nacheinander namentlich vorstellen, vielleicht auch sagen, woher wir kommen, und sicher wäre es auch ganz interessant zu erfahren, aus welchem speziellen Grund Sie sich ausgerechnet für eine Reise nach Israel entschieden haben.
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