Muss ich denn schon wieder verreisen?
nicht. Es werden wohl die gleichen gewesen sein, die ihm immer wieder gestellt werden. Wie lange er hier Wache schieben müsse, ob es nicht langweilig sei, so ganz allein herumzuhängen, wo denn der nächste Posten stehe und ob er tatsächlich die ganze Zeit durch sein Opernglas gucke, weil er doch aufpassen müsse. Letzteres schien besonders Ännchen zu interessieren, denn sie werde immer ganz narrisch, wenn sie »im Wald durch Hoini sein Fernrohr die Rehe ogucke« solle.
»Gesetzt den Fall, hier tauchen plötzlich fremde Soldaten mit unverkennbar feindlichen Absichten auf. Was würden Sie denn dann tun?« Diese Frage hatte ich mir einfach nicht verkneifen können.
»Dös überleg ich mir auch manchmal«, sagte der Friedenshüter grinsend. »Schauen, daß ich noch telefonieren kann, und dann nix wie weg.«
»Ich sehe aber nirgends ein Auto.«
»Is auch kaans da. Aber an Motorradel.«
Unter Hinterlassung deutscher Zigaretten und einer vier Tage alten Wiener Zeitung, die noch in Gregors Manteltasche gesteckt hatte, verabschiedeten wir uns und rannten zurück zum Bus. Der leichte Nieselregen hatte sich in einen Hagelschauer verwandelt, und das Gewitter kam auch immer näher. Rechnete man noch die drastisch gesunkene Temperatur dazu, dann hatten wir das typisch deutsche Novemberwetter.
Parallel zur syrischen Grenze fuhren wir abwärts. Allmählich kam auch die Sonne wieder heraus. Ich weiß nicht mehr, weshalb wir anhielten, um einen Blick hinüber nach Kunetra zu werfen, jedenfalls holte Heini seine Videokamera heraus und filmte ausgiebig. Erst ein Schwenk von links nach rechts, dann nochmals von rechts nach links, weil Ännchen noch mit drauf wollte, und dann riß Menachem mit allen Anzeichen des Entsetzens dem Hobbyfilmer die Kamera aus der Hand. »Das gibt Ärger.«
»Ja, mit meiner Frau. Die ist nicht mehr mit drauf. Warum haben Sie das gemacht?«
»Sie haben den halben Golan gefilmt! Gleich neben der Stadt da drüben befindet sich ein israelisches Materiallager, das darf nicht fotografiert werden.«
»Ich seh’ nichts.« Angestrengt blinzelte Heini gegen die Sonne. »Und was ich nicht sehe, sehen andere auch nicht. Ich bin sechsundfünfzig Jahre alt und habe noch nie nicht eine Brille gebraucht.«
»Darauf kommt es doch gar nicht an. Sie haben verbotenes Terrain fotografiert, und jetzt kann es durchaus passieren, daß wir gleich von der Militärpolizei angehalten werden. Im günstigsten Fall nimmt man Ihnen nur den Film ab.«
»Des geht awer net, weil do isch doch noch die Burg von dä Kreuzridder druf und die Moschee von dem tirkische Pascha und die gonze Läde im Bassar…«, lamentierte Ännchen sofort. »Gell, Hoini, des läsch du net zu. Sag dene oifach, du drehscht des Band ä Stück z’rick und filmsch ebbes driwer.«
»Vielleicht werden wir jetzt alle als Spione verhaftet«, meinte Claudia. »Das wär’ doch mal was, nicht wahr, Uwe? Eine Nacht im jüdischen Knast!«
Uwe hatte gar nichts mitbekommen. Knopf im Ohr, hockte er auf seinem Sitz und wiegte sich im Takt der Musik, die aus seinem Walkman kam.
Die hochnotpeinliche Befragung durch die Polizei blieb uns erspart, denn offenbar hatte niemand Heinis verbotswidriges Tun beobachtet. Unbehelligt konnten wir weiterfahren, bis wir am Spätnachmittag unser Etappenziel erreichten: Tiberias am See Genezareth, wo wir für zwei Tage Quartier beziehen würden. Vorher hatten wir allerdings noch einige Verhaltensmaßregeln bekommen, und die hatten ungefähr so geklungen: »Heute bei Sonnenuntergang beginnt der Sabbat, also der jüdische Sonntag, an dem besonders die strenggläubigen Juden jede manuelle Tätigkeit ablehnen. Genaugenommen dürften sie nicht einmal eine Mahlzeit zubereiten. Deshalb werden in vielen Familien die Vorbereitungen dazu schon am Vortag getroffen. Außerdem geht dem Sabbatmahl …«
»Do gibt’s sonntags bloß Ufg’wärmtes? Des könnt i moinem Monn awer net zumute. Da dätscht doch proteschtiere, gell, Hoini?«
Heini nickte ergeben, und Frau Marquardt fuhr fort: »Häufig wird das Sabbatmahl auch zusammen mit Freunden in einem Restaurant eingenommen. Das Hotel, in dem wir übernachten werden, garantiert koschere Küche, weshalb auch anzunehmen ist, daß wir im Speisesaal jüdische Familien antreffen werden. Manche Rituale werden Ihnen seltsam erscheinen. Sehen Sie taktvoll darüber hinweg, wundern Sie sich später darüber, wenn Sie allein sind, und lassen Sie vor allem die Fotoapparate in Ihren Zimmern. Außerdem
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