Muss ich denn schon wieder verreisen?
Singer-Nähmaschine weckte, kauften bei einem Händler Kaktusfrüchte, die man schälen muß, bevor man sie essen kann, die aber so viele feine Stacheln haben, daß man sie erst gar nicht schälen kann, weil man nicht weiß, wo man sie anfassen soll – und irgendwann landeten wir wieder auf dem Basar. Er zieht sich ja durch die ganze Altstadt.
Irene erhandelte drei Glückshändchen (und zahlte dafür weniger als ich für eine!), und dann steuerten wir ein arabisches Kaffeehaus an, das in drei Sprachen die Spezialität des Tages offerierte, nämlich selbstgemachte Kuchen.
»Welchen Tag meinen die wohl?« Zweifelnd musterte Irene das in allen Bonbonfarben schillernde Gebäck, von dem der Zuckerguß schon teilweise geschmolzen war. »Einerseits würde ich ja gern mal eins probieren, andererseits habe ich kein Bedürfnis nach einer intensiveren Bekanntschaft mit den hiesigen Zahnklempnern. Sitzen deine Plomben alle noch fest?«
Ich nickte, denn als leidgeprüfter Mensch war ich vor Antritt der Reise beim Zahnarzt gewesen. Noch nach zwanzig Jahren steckte mir mein damals total verpatzter Urlaub in den Knochen. In Italien war es gewesen, als ich gleich am zweiten Tag Zahnschmerzen bekommen hatte, die selbst nach Konsumierung sämtlicher Tablettenvorräte nicht aufhörten. Also ab in die nächste Praxis. Bedauerlicherweise hielten sich die deutschen Sprachkenntnisse des Arztes ungefähr die Waage mit meinen italienischen, genauer gesagt, ich verstand bloß Clinica und Alassio, konnte mit dente del giudizio nicht das geringste anfangen, bekam schließlich einen Zettel in die Hand gedrückt und durfte wieder gehen. Der Zahn tat immer noch höllisch weh.
Mit Hilfe des Hotelportiers und meines Wörterbuchs entschlüsselte ich die geheimnisvolle Botschaft auf diesem Zettel. Danach handelte es sich bei meinen Beschwerden um einen querliegenden Weisheitszahn, der sich zwar jahrzehntelang nicht bemerkbar gemacht hatte, doch plötzlich rebellierte. Die sofortige Entfernung des Störenfrieds sei ratsam, übersteige jedoch die Fähigkeiten jenes Zahnarztes.
Ganz so wörtlich hatte es natürlich nicht auf dem Zettel gestanden, aber es war die einzig logische Schlußfolgerung gewesen. Der Portier hängte sich ans Telefon, vereinbarte für den kommenden Tag einen Termin und spendierte mir noch ein paar Pillen »por dormire«, wie er sagte. Geschlafen habe ich trotzdem nicht, fuhr am nächsten Vormittag mit dem Bus nach Alassio, wurde in der Zahnklinik eine Stunde lang von drei vermummten Gestalten verarztet, die mir erst einen gesunden Backenzahn zogen, bevor sie stückweise den revoltierenden Weisheitszahn entfernten. Für die Rückfahrt brauchte ich ein Taxi, für die restliche Urlaubszeit täglich fünf Tabletten, doch die permanenten Schmerzen hörten erst zu Hause auf, nachdem der letzte der beiden dringebliebenen Splitter endlich von allein herausgekommen war.
Inzwischen bin ich alle Weisheitszähne los und gehe trotzdem zweimal im Jahr zum Zahnarzt. Das Dumme an Erfahrungen ist, daß man aus ihnen meist Dinge lernt, die man gar nicht wissen wollte.
Im Bewußtsein eines intakten Gebisses bestellte ich zweimal Nana sowie einen grünen und einen hellvioletten Kuchen mit kandierten Kirschen obendrauf. Dann überließ ich es Irene, sie als erste zu probieren. Außer in der Glasur vermochte sie keinen Unterschied festzustellen. »Widerlich süß. Wonach es sonst noch schmeckt, kann ich nicht sagen. Beschwören würde ich es nicht, aber der grüne Kuchen hat im Geschmack eine gewisse Ähnlichkeit mit Lippenstift. Hier, probier mal!« Sie bestellte eine zweite Tasse Tee, weil sie die erste zum Nachspülen gebraucht hatte.
»Zumindest optisch gibt das Zeug einiges her. Mein Bäcker hat so was im Schaufenster stehen, allerdings ist das aus Plastik.« Vorsichtig schob ich mir ein Stück lila Kuchen in den Mund. Sofort hatte ich das Gefühl, auf einem parfümierten Schwamm herumzukauen. Wer mit normalen Geschmacksnerven ausgestattet ist, sollte auf arabischen Kuchen lieber verzichten.
Wir bekamen Gesellschaft. Ein Araber bat höflich, Platz nehmen zu dürfen. »Paß auf, gleich fängt er ein Gespräch an«, wisperte Irene, »und in fünf Minuten haben wir mindestens zwei Geheimtips, wo wir Teppiche und Bauchtänzerinnen besichtigen können, selbstredend ganz besonders günstig. Der sieht doch aus wie ein professioneller Schlepper.«
Das fand ich nun überhaupt nicht. Er machte im Gegenteil einen recht gepflegten Eindruck, war
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