Mustererkennung
Browser-Memory nach dem F:F:F zweimal
die Asiengirls, als wollten sie unbedingt das letzte Wort behalten.
Sie versucht sich zu erinnern, was in Wins Gutenachtge—
schichten nach dem Sichern der Peripherie kam. Wahrscheinlich die Aufrechterhaltung der Routine im Inneren. Psycho—Prophylaxe oder so ähnlich nannte er das. Ganz normal wei—
termachen. Zwecks Aufrechterhaltung der Moral. Wie oft hat
sie sich im letzten Jahr daran zu halten versucht?
Schwer zu sagen, was das hier und jetzt heißen könnte, aber
dann denkt sie ans F:F:F und an die Flut von Postings, die der neue Clip mit Sicherheit provoziert hat. Sie wird es sich mit einer Kanne Tee-Ersatz und einer Orange auf Damiens Teppichboden gemütlich machen und gucken, was läuft. Danach wird sie darüber nachdenken, was wegen der Asiengirls und Dorotea Benedetti zu unternehmen ist.
Es ist nicht das erste Mal, daß sie das F:F:F in dieser Funktion benutzt. Sie ist sich gar nicht sicher, ob sie es schon mal in einer anderen Funktion benutzt hat. Das Zauberwort heißt »OT«, Off Topic. Alles außer den Clips ist »OT«. Die Welt. Nachrichten.
Alles Off Topic.
Während sie in der Küche steht und Wasser heiß macht,
wandern ihre Gedanken wieder zurück zu Wins Gutenachtge—
schichten über die Peripheriesicherung in Moskau.
Insgeheim hat sie sich damals immer gewünscht, daß die
KGB-Wanzen doch durchkämen, weil sie sich die Dinger als
klitzekleine mechanische Metall-U-Boote vorstellte, auf ihre Art genauso kunstvoll wie Fabergé-Eier. Sie sah sie in ihrer Phantasie Wins Fallen eine nach der anderen umschiffen und schließ-
lich mit surrendem Räderwerk in den Kloschüsseln der Toiletten des Botschaftspersonals auftauchen. Aber sie hatte deswegen ein schlechtes Gewissen, weil es ja nun mal Wins Job und ganze Leidenschaft war, sie daran zu hindern. Und sie konnte sich nie recht vorstellen, was sie dort sollten und was sie zu diesem Zweck als nächstes tun mußten.
Damiens Wasserkessel pfeift. Sie nimmt ihn von der Flamme, gießt die Teekanne voll.
Als sie sich mit ihrem Picknick vor dem Cube niedergelassen
hat, geht sie ins F:F:F und sieht, daß tatsächlich massenhaft Postings da sind. Und daß die Kacke am Dampfen ist.
Parkaboy und Mama Anarchia flamen sich gegenseitig.
Parkaboy ist der De-facto-Sprecher der Progressisten, der
Fraktion, die davon ausgeht, daß die Clips Fragmente eines
Work in Progress sind, eines noch in der Entstehung begriffenen Films.
Die Komplettisten hingegen, eine deutliche aber eloquente
Minderheit, sind der Überzeugung, daß die Clips Sequenzen
eines bereits vollendeten Werks sind, eines Films, den der
Filmemacher aus irgendwelchen Gründen in Form durchein—
andergewürfelter Schnipsel ins Netz stellt. Mama Anarchia ist die Oberkomplettistin.
Die Implikationen dieser widerstreitenden Theorien gehen
für einige F:F:F-Mitglieder geradezu ins Theologische, aber für Cayce ist die Sache ganz einfach: Wenn die Clips Segmente eines bereits fertiggestellten Films, gleich welcher Länge, sind, dann treibt jemand mit den Clipheads eins der fiesesten Spiele, die je ersonnen wurden.
Die Ur-Clipheads, die die ersten Fragmente entdeckten und
sammelten, mußten natürlich der komplettistischen Position
zuneigen. Als es erst ein halbes Dutzend oder ein Dutzend
Fragmente gab, sprach noch vieles dafür, daß sie zu einem
kürzeren Film gehörten, einem Studentenprojekt vielleicht,
trotz der unheimlichen Perfektion und eigentümlichen Intensi-tät. Doch als dann die Zahl der Downloads wuchs und ihre Herkunft immer mysteriöser wurde, kamen viele Clipheads zu der Überzeugung, daß ihnen hier Teile eines Work in Progress gezeigt wurden, vielleicht sogar in der Reihenfolge ihres Entstehens. Und egal, ob man die Clips in erster Linie für Live-Action oder für computergeneriert hielt, sprach doch die Qualität zunehmend gegen eine Studentenarbeit oder irgend etwas im landläufigen Sinne Amateurhaftes. Dazu waren sie einfach zu
genial gemacht.
Es war Parkaboy, der, kurz nachdem Ivy von Seoul aus das
Forum eingerichtet hatte, als erster die Hypothese vom »Keller-Kubrick« in die Diskussion einbrachte. Dieses Konzept ist per se weder progressistisch noch komplettistisch, und selbst Mama Anarchia hantiert inzwischen locker mit dem Begriff, obwohl sie weiß, daß er von Parkaboy geprägt wurde. Es ist einfach nur ein zentraler Diskussions-Topos: daß die Fragmente das Werk eines einzelnen, technisch entsprechend
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