Mustererkennung
machen.«
»Sie müssen erst mal drüber schlafen.«
Sie versucht, die Stirn zu runzeln, findet ihn aber plötzlich verblüffend komisch. Er weiß genau, was für eine Plage er sein kann, und irgendwas an seinem Auftritt signalisiert das auch; eine Entwaffnungstaktik, aber eine, die funktioniert.
»Was würden Sie denn mit ihm machen, wenn ich ihn fände, Hubertus?«
»Ich weiß nicht.«
»Sein Produzent werden?«
»Ich glaube nicht. Ich glaube, es gibt noch keine Bezeichnung für die Funktion, die man da übernehmen müßte. Advokat vielleicht? Förderer?« Er scheint auf London hinabzugucken, wie er sich in seinem fahlbraunen Regenmantel so aufmerksam vorbeugt, aber dann sieht sie den DVD-Spieler in seiner Hand.
Der Kuß läuft ein weiteres Mal ab.
»Sie müssen es ohne mich machen.«
Er blickt nicht auf. »Schlafen Sie drüber. Morgens sieht alles anders aus. Es gibt da jemanden, mit dem ich Sie zusammenbringen möchte.«
»Noch was«, sagt sie und nimmt ihm den Cowboyhut ab. Sie klappt Daumen und Finger der linken Hand auf gleiche Höhe, faßt den Hut so, daß der Zeigefinger in der Delle liegt, setzt ihn auf und klopft sich dann mit einem einzigen wohldosierten Zeigefingerschlag die Krempe in die Stirn. »So.« Sie mustert ihn unter der Krempe hervor. »Und abnehmen so.« Sie zieht den Hut vom Kopf. Setzt ihn wieder ihm auf. »So, wie Sie es machen, sieht es aus, als bräuchten Sie eine Trittleiter, um aufs Pferd zu kommen.«
Er legt den Kopf zurück, um unter der Krempe hervorschauen zu können. »Danke«, sagt er.
Cayce wirft einen letzten Blick auf die glitzernde Stadt. »Und jetzt fahren Sie mich bitte nach Hause. Ich bin müde.«
In Damiens Hausflur stellt sie sich auf die Zehenspitzen, sieht, daß das dunkle Cayce-Pollard-Haar immer noch über dem Ritz zwischen Tür und Rahmen klebt, und zieht dann die selten benutzte Puderdose aus ihrer Mappe, wobei ihre Finger den glatten, runden Zylinder aus den Innereien des Robotergirls streifen. Kniend stellt sie mittels des kleinen Spiegels fest, daß der Puder, den sie auf die Unterseite des Türknaufs gestäubt hat, unberührt ist. Danke, Commander Bond.
8 WASSERZEICHEN
Nachdem sie sich vergewissert hat, daß auch diverse weitere Subminiaturvorrichtungen follikulärer und sonstiger Art in dem Zustand sind, in dem sie sie zurückgelassen hat, checkt sie ihre E-Mail.
Eine von Damien, eine von Parkaboy.
Sie öffnet die von Damien.
Hallo und viele Grüße aus den Tiefen der derzeit aufgetauten Sümpfe bei Stalingrad. Ich bestehe nur noch aus Insektenstichen und Bart—stoppeln, falle aber hier trotzdem noch aus dem Rahmen, weil ich nicht oft genug betrunken bin, obwohl ich dran arbeite, Wahnsinnsszene—rie hier, kam vor meiner Abreise nicht mehr dazu, dir Genaueres zu erzählen.
Es geht um die Grabungen, die im Moment vielleicht meine Version des Clip-Kults sind. Die Graberei ist ein postsozialistisches Sommerri—tual für junge männliche Nichtsnutze aus ganz Russland, vor allem aber Leningrad-Boys, die in diese mückenverseuchten Kiefernwälder kommen, um den Schauplatz einer der heftigsten, längsten und erbittertsten Schlachten des
Zweiten Weltkriegs auszubuddeln. Grabenkrieg, die Front verschob sich immer hin und her, unter unvorstellbaren Verlusten, so daß man sich, wenn man einen Graben findet, förmlich durch Schichten gräbt: Deutsche, Russen, Deutsche. Die jetzt allesamt nur noch Gebeine sind, Knochen von einem seltsamen Dunkelgrau, da das Ganze unter diesem klebrig-schlickigen Schlamm begraben ist, der im Winter beinhart gefriert. Dieser Schlamm ist, wenn ich mir das Wort richtig gemerkt haben anaerob. Das
Fleisch ist zum Glück längst nicht mehr da, wohl aber Knochen und Gegenstände, die sich, wenn der Schlamm erst mal ab ist, als bestens erhalten erweisen und der Grund für diese
Grabungsinvasion sind. Waffen aller Art, Arm—banduhren, gestern hat sogar einer eine unge-
öffnete Flasche Wodka gefunden, aber dann kam die Theorie auf, sie sei als Giftköder hier zurückgelassen worden. Sehr bizarr. Aber visuell, wow! Alles: die besoffenen Jungs mit den kahlgeschorenen Köpfen, die Sachen, die sie ausbuddeln, und überall die stetig wachsenden Pyramiden aus grauen Knochen. Und das meiste davon bannen wir auf Video, wenn auch der
Trick dabei ist, daß man genug getrunken haben muß, um sich als Teil dieser ganzen Party—Stimmung zu fühlen, aber wiederum nicht so viel, daß man zu blau zum Drehen ist und die Batterien zu
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