Mustererkennung
vorkommt wie ein kleines Boot, ein Weidenboot aus Hexcel und auf Teak getrimmtem Laminat. Sie sitzt ganz vorn, keine Sitze in ihrem Blickfeld.
Die Kabine ist wie ein bequemlichkeitsoptimiertes Groß-
raumbüro, ein Komplex von automatisierten, höchst ergonomisch gestalteten Workstation-Boxen. Es fühlt sich an, als könnten sie einen, wenn sie noch ein bißchen mehr in die Technik investieren würden, künstlich ernähren und gleichzeitig die daraus resultierenden Abfallprodukte sauber entsorgen.
Sie ist jetzt wer weiß wie viele Stunden in der Luft, hat ihre Uhr wie immer sorgsam weggepackt. Das Essen ist vorbei, das Licht heruntergedimmt, aber sie sieht im Geist ihre Seele immer noch irgendwo über dem Asphalt von Heathrow herumzappeln, an dieser unsichtbaren Leine, die sich permanent in ihrem Inneren abspult. Wie auch ein gewisses Maß an Angst aus ihr entweicht, jetzt, da sie weiß, sie müssen irgendwo weit draußen über dem Ozean sein, wo keine menschlichen Attacken drohen.
Ihr Leben lang hat sie sich hier am verletzlichsten gefühlt, mitten im Nichts, über jungfräulichem Wasser, aber jetzt richten sich ihre bewußten Flugängste auf Dinge, die sie über dicht besiedeltem Gebiet ereilen könnten, auf Boden-Luft-Raketen, auf drehbuchmäßig durchgeplante CNN-Momente.
Aber Linienflüge sind für Cayce von jeher noch in anderer Hinsicht problematisch: wegen der endlosen, unentrinnbaren Wiederholung des Logos der jeweiligen Fluggesellschaft. BA war da noch nie besonders schlimm, aber Virgin mit den vielen assoziierten Produkten ist völlig unmöglich.
Momentan ist ihr Hauptproblem mit BA allerdings banalerer Natur: im Armlehnen-DVD nicht ein einziger Film, der für sie auch nur annähernd in Betracht käme; sie steht jetzt schon seit geraumer Zeit unter einer selbstauferlegten Videonachrichten-sperre, hat vergessen, etwas zu lesen mitzunehmen, und der Schlaf will sich nicht einstellen. Während London immer weiter entschwindet und Tokio sich noch weitgehend ihrer Vorstellung und Erinnerung entzieht, sitzt sie im Schneidersitz auf ihrem schmalen Bett und reibt sich die Augen, fühlt sich wie ein krankes Kind, gerade gesund genug, um durch und durch unruhig zu sein.
Dann fällt ihr Bigends iBook ein, mit dem nagelneuen Si—cherheitskontrollsticker von Heathrow.
Sie angelt die Nylontasche unterm Sitz hervor und öffnet sie.
Gestern abend hat sie zwanzig Minuten im Desktop herumge—stöbert, aber jetzt erst bemerkt sie eine unbeschriftete CD-ROM, die sich nach dem Einlegen als Datenbank sämtlicher F:F:F-Postings entpuppt – mit Suchfunktion. Derjenige, der solche Dinge für Bigend macht, hat zudem eine komplette Sammlung der Clips und ihre drei Lieblingsedits, darunter eins von Filmy und Maurice, auf der Festplatte bereitgestellt.
Noch immer im Schneidersitz macht sie sich eine Haftzettel—notiz: CD FÜR IVY KOPIEREN.
Ivy wünscht sich schon seit den Anfängen des Forums eine durchsuchbare Datenbank, weil die Gratis-Software, mit der sie die Seite unterhält, keine Suchfunktion hat, aber bisher war noch niemand willens oder in der Lage, eine solche Kompilation zu erstellen. Forumsmitglieder haben zwar ihre Lieb-lingsthreads gebookmarkt und tauschen sie untereinander aus, aber es gab keine Möglichkeit, ein bestimmtes Thema über die gesamte Entwicklung des Forums zu verfolgen.
Jetzt gibt es sie.
Cayce hat keine Ahnung, wie viele Seiten Postings sich seit Bestehen der Site angesammelt haben. Sie ist nie mehr zu den Anfängen, zur Ur-Site sozusagen, zurückgegangen, aber jetzt gibt sie CayceP als Suchwort ein.
Im Gegenteil, wie ich gestern schon sagte …
Ah. Nicht ihr erstes Posting. Anfangs war sie noch gar nicht CayceP. Sie gibt Cayce als neues Suchwort ein.
Hi. wie viele Segmente insgesamt? Habe gerade
das runter geladen, wo er auf dem Dach ist.
Konnte irgendwer was mit diesen Schornstein—
aufsätzen (nennt man das so?) anfangen?
Später hat sie das P hinzugefügt, weil es für kurze Zeit noch jemanden gab, der Cayce hieß, allerdings mit Nachnamen, ein gewisser Marvin Cayce aus Wichita, der sich überdies Case und nicht Casey aussprach.
Sie fühlt sich ein bißchen so, wie sie sich vermutlich fühlen würde, wenn sie ihr High-School-Jahrbuch wiedergefunden hätte.
Da ist Parkaboys erstes Posting:
Leck mich doch die heilige Feuerzunge! Dachte
schon, ich wäre der einzige hier draußen, der
sich für die spezielle Schönheit dieses extrem
abwechslungsreichen
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