Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
kyrillischen Schriftzeichen Bahnsteig, Zug und Waggon für uns gefunden sowie der blonden jungen Frau vor dem Waggon mit einer Liste in der Hand, auf der auch ich unsere beiden Namen ausmachen konnte – was nicht schwer war, da es die einzigen mit lateinischen Buchstaben geschriebenen Namen waren –, zu verstehen gegeben, dass wir zwar nur zwei Personen, genau genommen anderthalb waren, aber dennoch vier Betten reserviert hätten. Nach einigem Hin und Her, das ich zwar nicht verstanden, aber mit meinem schönsten und zuversichtlichsten Lächeln begleitet hatte, durfte ich mit Levi, im Maxi-Cosi an meinem rechten Arm baumelnd, die zwei hohen eisernen Stufen erklimmen und stand zum ersten Mal in der Transsibirischen Eisenbahn. Eingerahmt von Markus, mit unserer Reisetasche im Arm, und vom Taxifahrer, mit Kinderwagen und Seesack in seinen Händen und Schweiß auf der Stirn.
Entgegen allen Ankündigungen in Transsibreiseführern, dass nicht mitreisenden Begleitpersonen der Zutritt zum Zug strengstens verboten sei, durften sowohl Markus, der uns nach sechs Mutter-Sohn-Tagen in Sankt Petersburg für zwei Tage besucht hatte, als auch der Taxifahrer mit Levi und mir einsteigen. Auch wurde das Gepäck – entgegen der Expertenmeinung – nicht gewogen und war somit nicht auf 36 Kilogramm begrenzt. Alles war einfacher und freundlicher als erwartet. Vielleicht waren die Sankt Petersburger Verhältnisse entspannter als die in Moskau, von wo aus die meisten Reisenden ihr Abenteuer Transsib starteten?
Die hellblonde Schaffnerin zeigte auf Levi und runzelte die Stirn. »Warum?«, meinte ich in ihrem erstaunten Gesicht lesen zu können. Ich lachte ihr eine Zuversicht entgegen, die ich unterwegs zu finden hoffte, und der Taxifahrer fand scheinbar die richtigen Worte.
Zu dritt verstauten wir das Gepäck in Levis und meinem neuen Nest aus Plastik und Metall – den Kinderwagen, den ich im Zug sicher nicht brauchen würde, in den Stauraum über der Abteiltür, die Tasche mit unseren Kleidern unter einer Sitzbank, den Seesack mit Levis Essen, meinen Teebeuteln, Windeln und Spielzeug für die Tage in der Transsib immer griffbereit auf eine Pritsche – und verabschiedeten uns vom Taxifahrer.
Mein Blick traf meinen Blick im Spiegel auf der Innenseite der Abteiltür, und da wusste ich, dass es ernst wurde: Ich saß tatsächlich im Zug. Mit Levi. Ich sah Aufregung in meinem Gesicht. Und ein bisschen Angst. Ein Satz lag mir auf der Zunge: »Ich will nicht!« Aber ich ließ ihn nicht über meine Lippen entkommen. Also bahnte er sich einen Weg über die Augen, die feucht wurden. Levi gähnte und schlief ein. Ich lief wie ein eingepferchter Tiger im Abteil auf und ab. Irgendwann stieg Markus aus.
Nächster planmäßiger Halt war Perm. In 38 Stunden.
Auch im 21. Jahrhundert ist die Transsib noch die längste durchgehende Eisenbahnstrecke der Welt.
Ein Rettungsreifen im Wodkameer
Das mit roten Vorhängen versehene Fenster umrahmt eine schmierige grau-rosa Morgendämmerung. Und Birken.
Vorsichtig öffne ich die Abteiltür und spähe auf den Gang hinaus. Niemand zu sehen. Mit meiner Thermostasse hüpfe ich auf Socken zum kohlebefeuerten meterhohen Samowar, der am vorderen Ende meines Waggons Nummer 7 rund um die Uhr kochend heißes Wasser für maximal 36 Reisende und zwei Schaffnerinnen bereithält, lasse einen Viertelliter einlaufen und eile zurück zu unserem Abteil mit den Plätzen 21, 22, 23 und 24, in dem Levi immer noch schlummert. Das Thermometer oberhalb der Waggontür zeigt kuschelige 26 Grad. Die Uhr darunter 7.12 Uhr. Dass es sinnvoll ist, sich die Bettennummern einzuprägen, hatte ich gestern Nacht gemerkt, als ich von einem Blitztoilettenbesuch zurückkehrte und mich erst an zwei falschen Abteiltüren versuchte. Die erste Tür war verschlossen, und ich kämpfte gegen die Sorge, dass sich jemand mit Levi in unserem Abteil eingeschlossen hatte, um unser Gepäck in Ruhe zu inspizieren oder um Levi zu stehlen. Vor Ersterem wird in den konsultierten Reiseführern ausgiebig gewarnt mit der Empfehlung, doch immer beim Verlassen des Abteils die Tür von der Waggonschaffnerin abschließen zu lassen. Mit Levi im Inneren und wenn man bedenkt, dass die Schaffnerin ja auch mal schlafen muss, nicht wirklich praktikabel. Die zweite Tür ließ sich öffnen. Statt des schlummernden Levi blickte ich in das erst erboste und dann lächelnde Gesicht des jungen Mannes, der neben uns wohnte. Hinter der dritten Tür fand ich endlich unser
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