Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
mongolischen Morgensonne im Gesicht schlürfen wir vor unserem Heim für die nächsten Tage heißen Tee, während Levi eingewickelt in Fleeceanzug und unter drei Decken eingekuschelt zufrieden schnarcht. Nachts wird es verdammt kalt. Unter null Grad. Der gefrorene Morgentau klebt noch an der weißen Außenwand unseres Zeltes.
Die nächtliche Kälte ist eine echte Herausforderung. Für meinen Kopf. Heute Nacht habe ich bestimmt zwanzigmal gecheckt, ob Levi noch atmet. Ob er friert oder schwitzt. Überraschenderweise hat er trotzdem durchgeschlafen. Nur ich bin müde.
»Können wir uns da nicht abwechseln? Eine Nacht du, eine Nacht ich?«, frage ich Markus.
»Klar!«, sagt der.
Und ich weiß: Er wird schlafen und nichts kontrollieren, Levi wird schlafen, und ich werde wach liegen. Zu 99,9 Prozent wird nichts passieren, aber für die kleine Wahrscheinlichkeit bleibe ich halt wach. Beziehungsweise schlafe leicht. Und Markus nicht. Wenn das der Mutterinstinkt ist, reiche ich hiermit offiziell bei Gott einen Nachrüstungsantrag für Männer ein: auf Vaterinstinkt. Ich brauche nämlich auch meinen Schlaf. Es erfüllt mich nicht mit Stolz, nachts über meinem Sohn zu wachen. Ich mache es halt. Ich muss es machen. Mist.
Unser Camp heißt Red Rock Ger Camp. Es steht zwischen urzeitlich anmutenden Fels-Sandsteinformationen. Hier wurden versteinerte Dinosaurierknochen gefunden. Ganz in der Nähe wird Uran abgebaut. Und in der dazugehörigen nuklearen Forschungsstation arbeiten russische, deutsche und mongolische Forscher Seite an Seite.
In der Morgen- und Abenddämmerung färben sich die Felsen, die unser Camp einrahmen und deren unterschiedliche Schichten so aussehen, als wäre das Meer gerade eben erst abgeflossen, in allen erdenklichen Rottönen, erzählt der Campmanager Xexen.
»Wie bei den Flaming Cliffs!«, fügt er stolz hinzu. Nur ohne einen einzigen Bus voller Touristen aus aller Welt, denke ich zufrieden.
»Wollt ihr heute vielleicht Kamele reiten?«, fragt Xexen und deutet auf zwei doppelhöckrige Geschosse, die in 100 Metern Entfernung gemütlich grasend ihrerseits frühstücken.
»Maybe tomorrow« , antworte ich und denke an No-tour -Anna aus Listwjanka: Mit Rumsitzen und Camperkunden sind wir für heute ausgelastet. Außerdem meine ich, hinter der Küchentür eine kleine neugierige Nase auszumachen.
Neben den zehn Gästejurten, der Küchenjurte und der in einiger Entfernung aufgestellten Jurte der Managerfamilie gehören zum Camp noch zwei Toilettenplumpshäuschen und zwei Duschjurten. Wir beschließen uns vom Staub der Straße zu befreien.
Xexen schürt den Ofen an, der in der Mitte der Duschjurte thront, indem er getrockneten Yakdung und Holz aus den daneben platzierten Körben hineinlegt und anzündet. Auf dem Ofen sitzt ein riesiger Metalleimer voller Wasser. Weiterhin kann ich noch drei zerbeulte Eimer mit kaltem Wasser, zwei Plastikgeräte, die aussehen wie Duschköpfe, die über einen Schlauch mit einer Fahrradpumpe verbunden sind, Handtücher und Plastiklatschen finden.
Heißes und kaltes Wasser werden in eine Art Wasserpistolenduschkopf eingefüllt, der Duschkopf am Jurtendach befestigt, gepumpt, und fertig ist die Dusche: Beim ersten Mal verbrenne ich mich, beim zweiten Mal ist es zu kalt, und dann geht’s perfekt.
Als besonderes Highlight zaubert Xexen eine orangefarbene Babyplastikbadewanne hervor: mit rutschfestem Boden und Griffen zum Tragen. Ich habe keine bessere Wanne zu Hause. Wir befüllen die kostbare Leihgabe mit hoffentlich 38 Grad warmem Wasser, stellen sie in die mongolische Nachmittagssonne und setzen Levi hinein. Der zappelt und planscht vor Glück. Hinter der Duschjurte machen wir wieder eine kleine Nasenspitze aus. Auf 95 Zentimetern Höhe.
Der sanfte warme mongolische Wind erzeugt sandige Wellen auf dem Boden direkt vor Levis Wanne. Durch den Sucher meiner Kamera kann ich aus 15 Meter Entfernung miterleben, wie Levi aufsteht, um nach den sandigen Wellen zu greifen. Markus, der neben der Wanne sitzt, bekommt davon leider nichts mit. Und dann geht alles ganz schnell: Levi beugt sich vor, greift nach dem vorbeiwirbelnden Sand und kippt nach vorn. Die Wan-ne hält seinen stattlichen neuneinhalb Kilogramm nicht stand und kippt ihrerseits nach vorn. Und so liegt Levi im mongolischen Matsch. Erst weniger, dann zunehmend begeistert. Dann spritzt es nach allen Seiten.
Das zur Nasenspitze gehörende Gesicht lacht, als wir zu dritt in der Duschjurte verschwinden, in der Hoffnung,
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