Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
sage ich in die Stille. »Ist mir zu viel, irgendwie.«
Der Platz an der Sonne vor unserer Jurte ist seit zwei Tagen wie eine Zwischenwelt, in der alles noch nicht real wirkt. Draußen im normalen Leben droht die Katastrophe, fürchte ich.
»Dann bleiben wir noch hier«, sagt Markus und döst wieder ein.
Levi krabbelt rüber zu seinem Vater. Fasst ihn an die Ohren und an die Nase. Und lacht. Markus wacht auf, Levi lächelt ihn an, krabbelt zu mir, dreht sich um und lacht Markus an. Der streckt seine Arme aus, Levi krabbelt auf ihn zu, kuschelt sich in Markus’ Arme, und beide schlafen ein.
Sieht doch ganz einfach aus.
Zumindest machbar.
Transsibirische Familienzusammenführung
Der Gedanke kam mir in der Nacht. Und jetzt sitzen wir im Zug. Zusammen in der Transsibirischen Eisenbahn. Mit dem Ziel Bayangobi. Im Süden der Mongolei. Irgendwo zwischen Ulan-Bator und Peking. Ich habe Lust auf Wüstensteppe und sonnige Temperaturen. Und ein bisschen transsibirische Nestwärme. In einem Zugabteil nur für uns drei.
So weit der Plan.
»Habt ihr Hunger?«, fragt Nara, die mongolische Übersetzerin, die neben mir sitzt. Bei der Buchung von Zugtickets, Jeep, Fahrer und Camps war Nara nicht gelistet. Ich kann mir auch nicht vorstellen, sie zu brauchen. In Sibirien ging es ja auch. Aber der mongolische Tourismus scheint nur mit Übersetzern zu funktionieren. So selbstverständlich, dass es gar nicht mehr gesondert hervorgehoben wird.
»Dieser Zug hat kein Restaurant«, sagt Nara und reicht uns große Tupperwaredosen herüber.
Vor dem Fenster verwandelt sich grasige Steppenlandschaft langsam in Wüstensteppe. Selten unterbrochen von weißen Jurten oder sandigen Autospuren. Hie und da mal eine Herde Pferde, Kühe oder Yaks. Mit jedem gerollten Kilometer wird es wärmer. Weiße Wolken tanzen mal träge, mal aufgeregt auf ihrer diesig blauen Bühne.
Der Zug hält vier- bis fünfmal pro Stunde. Immer nur für wenige Sekunden. Mitten in der Landschaft. Es gibt selten Bahnsteige, fast nie Gebäude. Nur Leere. Und ein paar Menschen, die Reisende abholen oder Speisen und Getränke verkaufen und sich im Schatten des Zuges etwas abkühlen.
Mittlerweile merke ich, wann ein Halt bevorsteht: Einige Menschen im Zug werden hektisch und tragen ihr meist üppiges Gepäck in Form von Kisten und bunten Taschen zum Ausgang. Dann passiert immer das Gleiche: Der Zug hält mit einem quietschenden Ruck, die Menschen werfen ihre Gepäckstücke in den Sand, der Waggonschaffner schimpft dazu oder mahnt zur Eile, ich verstehe es nicht. Und der Zug setzt sich schon wieder in Bewegung, bevor die letzten Gepäckstücke geworfen und alle Besitzer abgesprungen sind.
Na, das kann ja was werden mit Levi.
Beim nächsten Halt springt Markus mit Levi aus dem Zug und nimmt sofort Verhandlungen über mongolische Teigtaschen, Wasser und mongolisches Bier auf. Die Verkäufer sind begeistert und kreisen meine zwei Männer ein. Der Schaffner gibt mir ein unmissverständliches Zeichen. Nara spielt an ihrem Handy. Der Zug setzt sich in Bewegung.
Markus greift nach der Tüte voller Köstlichkeiten, verzichtet auf das Wechselgeld, reicht dem zeternden Waggonschaffner die Hand und steht mit Schweiß auf der Stirn neben mir. Der Schaffner bekommt ein Bier, die Männer klopfen sich auf die Schultern und sind ab jetzt Freunde.
Wir bestaunen mehrere Bahnschranken, die in gewisser Regelmäßigkeit im Nichts auftauchen und hinter denen nur manchmal Autospuren erkennbar sind. Straßen, Orte oder sonstige Orientierungsmöglichkeiten haben wir schon lange keine mehr ausgemacht.
Die landschaftliche Leere entspricht meiner inneren Planlosigkeit. Und da mir die Landschaft gefällt, kann es um unser Reisen und Leben zu dritt ja nicht so schlecht bestellt sein, oder? Entspannt lehne ich mich zurück und schaue aus dem Fenster wie in einen Spiegel.
»Woher wissen die Menschen, wo sie sind und dass sie aussteigen müssen?«, frage ich Nara.
»An der Uhrzeit«, antwortet diese.
»Sind mongolische Züge denn immer pünktlich?«, staune ich zurück.
Unser Zug ist es jedenfalls nicht. Der Schaffner kann uns gerade noch davon abhalten, unser Gepäck in den Sand zu werfen. Wir erkennen Bayangobi anhand des Jeeps, der genau da parkt, wo der Zug hält. Im Inneren des Autos schläft der Fahrer, der Nara zu uns und uns von unserem geliebten Sonnenplatz vor der Jurte zum Bahnhof gebracht hat. Gepäckstücke fliegen, Schaffner schimpfen, und schon ist der Zug hinter der nächsten
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