Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
sanftes Murmeln aus dem Inneren der Jurte: Levi und Markus kommen gleichzeitig an. In unserem ersten Tag zu dritt. In der mongolischen Steppe.
Levi klammert an meiner Schulter und versteckt sein Gesicht hinter meinem Rücken. Linst hervor. Dreht den Kopf wieder weg. Linst wieder vor. Markus streckt Levi seine Arme entgegen, Levis Beine schlingen sich fester um meine Hüften. Markus nimmt Levi auf den Arm, Levi fängt an zu weinen. Ich nehme Levi zurück auf meinen Arm. Seine Unterlippe zittert, und stumme Krokodilstränen kullern über babyspeckige Wangen. Dann mustert Levi Markus neugierig. Markus streckt erneut seine Arme aus, Levi protestiert. Nachdem Levi ungefähr hundertmal zwischen Markus und meinem Arm hin und her gependelt ist, hat er erst einmal Hunger.
Zu dritt sitzen wir jetzt in der Sonne vor der Jurte und essen mongolische Teigtaschen. Außer Levis sanftem Schmatzen und dem warmen Wind ist nichts zu hören.
Markus hatte einen Tag Aufenthalt in Peking und vor wenigen Stunden noch das Pekinger Nachtleben genossen. Bei mir haben die kurzen Nächte am Baikal und in der Transsibirischen Eisenbahn Spuren hinterlassen. Markus ist noch voller Jobthemen: Er war aus seinem letzten Termin im Anzug und mit in der Mongolei bedeutungslosen Unterlagen in den Flieger gehüpft. Ich bin voller Eindrücke von Sibirien und Erinnerungen an die Transsib.
Wir schweigen. Ich greife nach Markus’ Hand. Selten waren wir weiter voneinander entfernt.
Levi weiß Rat
Es rattert. Obwohl wir vor der Jurte in der Sonne sitzen. Seit zwei Tagen machen wir nichts anderes. Ich öffne meine Augen, nur um sicherzugehen: Es rattert immer noch. Levi schläft auf meinem Schoß, Markus döst daneben. Unterhalb der Hügel durchschneidet ein grüner Zug von ungefähr fünfzig Waggons Länge die gelbe Steppe.
Ich weiß, wie die Menschen darin sich fühlen, denke ich sehnsuchtsvoll. Markus öffnet sein rechtes Auge, lächelt mich an und erzählt etwas aus München. Ich spüre, wie ein Wort in meinen Kopf steigt: Stopp!
Ich will gar nicht wissen, was zu Hause los ist.
Levi wacht auf und krabbelt in Richtung eines abschüssigen Stücks Grassteppe.
»Gehst du, oder soll ich?«, frage ich Markus in der Hoffnung, dass er das kleinere Stück Kuchen wählt und mich in der Sonne rumhängen lässt.
»Geh du ruhig«, sagt er wider Erwarten.
»Hab ich die letzten Wochen gemacht, mach du«, antworte ich, als Levi am abschüssigen Stück Steppe ankommt, die Hände schon in der Luft wie eine Comicfigur, kurz bevor sie den Wolkenkratzer mit strampelnden Beinen hinunterfällt, um unten aufzuklatschen, sich in Form zu ziehen und fröhlich weiterzuleben. Nur ist Levi keine Comicfigur. Ich stürme los, nehme ihn in den Arm und schicke Markus, der überraschenderweise direkt hinter mir steht, einen vorwurfsvollen Blick, für den ich mich sofort schäme.
Als Levi seine Hosen vollmacht, sitzt er auf Markus’ Schultern.
»Vorsicht!«, rufe ich, als Markus gerade mit Levi in der Jurte verschwinden will. »Du musst dich tiefer bücken, sonst schlägt Levis Kopf am Türstock an!«
Mich nervt es, die Verantwortung gegenüber Levi auch noch für Markus zu übernehmen. Übernehmen müssen zu meinen. Mich einzumischen, in diesem Supermum-Ton. Mich nervt es, darüber reden zu müssen. Das ist so die Kategorie Gespräch: Wer bringt den Müll raus. Das funktioniert bei uns ja auch irgendwie. Ohne große Diskussionen. Warum jetzt mit Levi nicht?
Warum sieht Markus nicht selbst, dass Levi eine Kopfnuss droht? Oder sollte ich es einfach lassen? Es darauf ankommen lassen? Auf Kosten von Levis leiblichem Wohl?
Das kann ich nicht.
Oder denke ich nur, dass Markus Levi zerbeulen würde? Warum denke ich eigentlich, dass ich Levi besser beschütze als Markus? Und warum muss ich eigentlich über so vieles nachdenken, seit Levi da ist?
Oder muss ich das gar nicht?
»Sollen wir ein bisschen wandern? Richtung Gleise? Oder hast du vielleicht Hunger?«, versuche ich meinen Kopf zu befreien und sitze in der nächsten Falle: Bis gestern konnte ich einfach losstiefeln oder essen, ohne mich abstimmen zu müssen.
»Was schlägst du vor?«, macht Markus die Situation nicht unbedingt einfacher.
»Wandern, wenn du keinen Hunger hast.«
»Hunger hab ich schon.«
Wenig später essen wir wieder mongolische Teigtaschen und schlürfen japanische Suppe. Ich komme mir vor wie in einer Endlosschleife von Loriots tragikomischen Familienepisoden.
»Ich will morgen noch nicht weiter«,
Weitere Kostenlose Bücher