Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
dass das Wasser noch nicht komplett verkocht ist.
Beim Abendessen lernen wir ihn endlich kennen, den zweijährigen Sohn des Campmanagers. Levi krabbelt auf ihn zu, er versteckt sich hinter den Beinen seines Vaters. Nach einigem Hin und Her klappt die interkulturelle Kinderverständigung, und die beiden spielen mit Löffeln und Levis Weltenball im Sand vor der Küchenjurte. Und Markus und ich trinken zur Abwechslung mal ein Glas Rotwein in der einsetzenden Abenddämmerung.
Wolkenfrei
»Machst du Levi heute fertig: Körperpflege, anziehen, erste Flasche Milch? Dann dreh ich mal eine kleine Runde ums Camp«, frage ich Markus. Leises Levi-Gebrummel dringt an unsere Ohren.
Wir sitzen in der Morgensonne vor unserer Jurte. Wieder wurden wir von dem sanften metallischen Geräusch des morgendlichen Ofenanzündens und dem darauf folgenden gemütlichen Feuergeprassel geweckt. Nachdem wir einige Zeit den Blick vom Bett in den strahlenden Morgenhimmel genossen hatten, haben wir es uns, in Wolldecken gehüllt, vor der Jurte mit einem ersten Glas Tee gemütlich gemacht. Die Nacht hatte ich mit Levi-vor-der-Kälte-Bewachen verbracht – auch wenn ihm eher der Schweiß auf der Stirn stand als die Zähne klapperten –, und daher ist mir nun nach ein bisschen Abstand.
»Klar«, sagt Markus, und weg bin ich.
Ich stapfe vorbei an den zwei frühstückenden festgebundenen Kamelen, vorbei an im Sand liegenden weißen Totenschädeln von Springböcken mit schneckenartig gedrechselten massiven Hörnern. Vorbei an stacheligen Büschen, die sich zusammenzuziehen scheinen, um dem Wind zu trotzen.
Der braune, geschichtete Felsen wirkt wie zufällig auf die Wüstensteppe geworfen und somit seltsam deplatziert. Oben thronen zwei Geier und beobachten mit hängenden Köpfen, wie mühsam es als Mensch ist, sich auf einen Felsen hochzuarbeiten. Scheinbar dauert es ihnen zu lange, denn als ich endlich oben ankomme, sind die Geier weg.
Dafür ist der Blick geblieben: In eine Richtung breiten sich geschichtete braune Felsen wie von einem Kind verstreute Bauklötze über sandiger Steppe aus. Am Horizont kann ich goldglitzernde Dünen erkennen, die mich zu rufen scheinen. Ich muss da unbedingt hin. Ich muss.
Der Blick in die andere Richtung trifft auf endlose Wüstensteppe. Dort, wo ich vor einer halben Stunde meinen Aufstieg begonnen hatte, grasen einige Wildkamele.
Ich lege mich auf den warmen Felsboden und beobachte vorbeiziehende Herden von Schäfchenwolken. Manchmal bewegen die Wolken sich aufeinander zu und scheinen fast zu einer Riesenwolke zu verschmelzen. Dann streben sie wieder auseinander und wirken fast verloren vor dem satten Hellblau des morgendlichen Himmels. Zwei Adler ziehen weite Kreise, Vogelgezwitscher dringt an mein Ohr, und der warme Wind streichelt mein Gesicht. Meine Hände liegen auf den rauen Felsen, greifen Sand und fühlen die einzelnen Körnchen mit den Fingerspitzen. Ich schließe die Augen, höre meinen Atem, spüre die Sonne und den Wind, die Wärme des Felsens. Sonst nichts.
In diesem Moment vermisse ich nichts. Und niemanden. Und das ist gut so.
Auf eine stille Art glücklich steige ich ab ins Camp. Markus sitzt mit Levi an einem Tisch, der aus einer Steinplatte besteht, die auf den Hörnern zweier Springbock-Totenschädel ruht. Ich setze mich dazu und beobachte, wie die beiden Steine und Muscheln sortieren. Markus schiebt mir eine Tasse Tee herüber. Levi greift mit voller Konzentration eine kleine weiße Muschel, hebt sie hoch und lacht mich an.
Orientierungslauf
Auch heute wollen wir nicht Kamele reiten. Dafür einfach in die Felswüstensteppe hineinwandern, irgendwo hinsetzen, picknicken, dösen. Auf die Frage, welche Himmelsrichtung denn empfehlenswert sei, ernten wir trotz Übersetzerin nur verständnisloses Achselzucken. Das Konzept des vordergründig sinnfreien Wanderns scheint tatsächlich ein westliches Phänomen zu sein.
Nichtsdestotrotz schaffen wir es, die mongolische Küchencrew davon zu überzeugen, uns direkt nach dem Frühstück noch etwas Essbares für unterwegs zuzubereiten. Wir packen zwei Flaschen kaltes Bier und ganz viel Wasser dazu, verstauen alles in meinem grünen Rucksack mit der gelben Plastikblume und stiefeln unter den besorgten Blicken Xexens los.
Da das Camp windgeschützt in einer von Felsen umrahmten Mulde liegt, ist es nach fünfzehn Minuten gemütlichen Laufens schon nicht mehr zu sehen. Cool. Und unheimlich. Kein Geräusch außer dem Wind, eine Herde Wildpferde, sonst
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