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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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nicht langsam nach einem Camp Ausschau halten könnten. Die Schilder, die seit einer Stunde in unregelmäßigen Abständen auftauchen, sind leider nur in mongolischer Sprache beschriftet. Bisher war für mich nicht mal zu erahnen, was da angekündigt wird.
    Seit zwei Stunden werden die Kopfbewegungen des Fahrers hektischer. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Bei jedem Gebäude – Tankstelle, Polizei, Jurte – hält er an, redet mit den Menschen, steigt wieder ein und fährt weiter. Kommentarlos. Und viel zu schnell.
    Ein Autounfall, den ich erfolgreich verdrängt wähnte, kommt mir in den Sinn, und so frage ich erneut durch Levis lauter werdenden Unmutsäußerungen nach der Entfernung zum nächsten Camp.
    Das nächste Camp sei noch sehr weit entfernt, bekomme ich zur Antwort. Auf meine bekannte Erwiderung, dass wir doch besprochen hätten, nach dreieinhalb Stunden Fahrt irgendwo anzukommen, ernte ich mittlerweile nur noch Naras Schweigen. Und langsam lauter werdendes Fluchen des Fahrers. Auch meine Laune verschlechtert sich. Rückbank ist für mich die Hölle, und langsam gehen Markus und mir die Spiele aus, die Levi von der ganzen Misere ablenken sollen.
    »Ich möchte eine Pause«, sage ich.
    Nara schaut starr geradeaus.
    Wir halten.
    Levi krabbelt über grasige Steppe, und wir trinken Tee. Ich krame meine Mongoleikarte heraus und will wissen, wo wir sind, wo Jalman Meadows ist und wo sich das Camp für unsere geplante Zwischenübernachtung befindet.
    Statt einer Antwort oder einem Finger auf der Karte ernte ich verständnisloses Achselzucken.
    »Mongolen fahren nicht nach Straßenkarten«, sagt Nara. Macht Sinn, denke ich. Außer den paar Kilometern befestigter Straßen um Ulan-Bator existiert in der Mongolei eh kein Straßennetz.
    Ich bitte Nara immer mal wieder, mir ungefähr zu zeigen, wo die Camps sind, und bekomme so im Laufe unserer Fahrt fast jeden Punkt auf der Karte nördlich von Ikh Nart und östlich von Ulan-Bator gezeigt.
    Irgendetwas läuft hier komplett schief. Aber was?
    Da die eine Stunde Freiheit unsere Laune gehoben und Levi beruhigt hat, fahren wir optimistisch gestimmt weiter.
    Nach zwei weiteren Stunden fällt mir ein, dass der Fahrer von Ulan-Bator nach Ikh Nart vor dem Zug angekommen war. Und dass der Zug sechs oder sieben Stunden gebraucht hatte. Und dass wir dann eigentlich nicht allzu weit von Ulan-Bator entfernt sein können. Und dass die Schilder vermutlich auch auf nahe liegende Zivilisation hindeuten?
    Ich diskutiere meine Erkenntnisse mit Markus. Levis Gesicht ist leicht gerötet von der Hitze und dem Ärger darüber, festgeschnallt zu sein.
    Unseren Entschluss teile ich Nara mit: »Wir wollen nach Ulan-Bator.«
    »Ohhh, Ulan-Bator ist jetzt sehr weit entfernt.«
    »Was meinst du mit jetzt?«
    Schweigen.
    »Dann will ich jetzt in ein Camp.«
    »Hier gibt es keine Camps.«
    »Wo sind wir?«
    Achselzucken.
    »Dann ist es mir egal, ich will nach Ulan-Bator. Mir reicht’s.«
    »Wir sind bald in Jalman Meadows!«, rutscht es Nara heraus.
    »Was?«
    »Noch drei Stunden.«
    Langsam dämmert mir, dass das mongolische Konzept von Raum und Zeit doch erheblich von meinen westeuropäisch geprägten Vorstellungen abweicht. Und die Vorstellungen von Gästebetreuung auch.
    Oder hatten die beiden nie vor, uns zu einem Zwischenstoppcamp zu bringen, weil es eine Abweichung vom ursprünglichen Plan beinhaltet?
    Ich erinnere mich aufgrund zunehmender Übelkeit und leer gespieltem Hirn nur vage an mein Studium der Interkulturellen Kommunikation. Asiatisch geprägte Kulturen seien polychron. Ihr Zeitverständnis entspräche eher einem Kreis, während das Zeitverständnis der Westeuropäer linear fortschreitend sei.
    Und im Kreis fahren wir ja auch. Zumindest kommt es mir so vor. Was sich sicher im Kreis dreht, ist die Kommunikation in unserem Jeep:
    »Levi schafft keine drei Stunden Fahrt mehr. Ich möchte sofort anhalten.«
    Der Fahrer schaut erschrocken, dann wütend. Dann flucht er los. Auf Mongolisch. Und ich fluche deutsch zurück.
    Ich bestehe darauf, dass der Fahrer mir mit dem Finger den Ort auf der Karte zeigt, an dem wir vor zwanzig Minuten vorbeigebraust sind. Ich komme mir vor wie ein Lehrer in den Sechzigerjahren, der einen Schüler quält. Und das fühlt sich wirklich nicht gut an, aber schließlich geht es um Levis Wohl.
    Der Finger des Fahrers landet auf einem Punkt, der maximal 35 Minuten von Ulan-Bator entfernt ist. Und höchstens zehn Minuten von der Einfahrt zum

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