Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
verschwinden in der warmen duftenden Küche. Die Schwingtür schwingt hinter den beiden aus, und in der Küche ist es ab sofort ungewohnt laut. Ein Stimmengewirr, nur unterbrochen durch Levis glückliches Quietschen und Glucksen.
Markus und ich genießen unser Frühstück. Ohne darauf achten zu müssen, ob Levi dem heißen Metallofen in der Mitte des Zeltes zu nahe kommt. Oder ob er bei seinen Gehversuchen ausrutscht und in ein schmerzhaftes Objekt zu fallen droht. Das Einzige, was uns irgendwann nachdenklich stimmt, ist, dass Levi normalerweise nach einigen Minuten ohne Sichtkontakt unruhig wird. Und nun ist er schon seit zwanzig Minuten weg – und nichts dergleichen. Was machen die wohl mit ihm?
Egal. Ich hole mir noch eine Tasse Tee, strecke die Beine aus und genieße das überraschende Zuzweitsein. Wird schon gut gehen. Solange sie ihn wiederbringen. Sie bringen ihn doch wieder?
Nach 25 Minuten stößt eine kleine Hand die Schwingtür auf, und der dazugehörige Körper krabbelt freudig zappelnd heraus. Einen Meter vor unserem Frühstückstisch bremst er ab und setzt sich hin. Sein Mund ist in allen erdenklichen Braunschattierungen weiträumig verschmiert. Stolz zeigt Levi uns ein kleines Stück Schokolade, bevor er es in seinem Mund verschwinden lässt. So viel zum Thema im ersten Lebensjahr keinen Zucker.
Was soll’s. Wir haben ihn wieder, unseren kleinen Küchenchef!
Yakkarttrekking: Unsere Entdeckung der Langsamkeit
Unser zotteliges Gefährt ist dreimal so groß wie eine durchschnittliche europäische Milchkuh, hat zwei 70 Zentimeter lange, spitz zulaufende Hörner und ein Gesicht wie aus der Urzeit entsprungen. Seit zwei Stunden stapft unser Yak mit stoischer Gleichförmigkeit bergauf und bergab. Das Ruckeln des grob gezimmerten Karrens hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem meditativen Charakter der Transsibirischen Eisenbahn – und so entspannen sich die Gesichter der westeuropäischen Besatzung nach einigen Minuten der Unsicherheit.
Geruchs- und geräuschvoll lässt der Yak einen eindrücklichen Haufen fallen. Keine 50 Zentimeter entfernt von unseren drei Nasenspitzen. Bienen, Fliegen und Mücken surren um uns herum. Irgendwann fängt der Yaktreiber an mongolische Lieder zu singen. Todtraurig wie portugiesischer Fado. Und richtig schön. Außerdem mutig. Ich würde mongolischen Münchenbesuchern bei einer gemeinsamen Autofahrt in die Alpen keine bayerischen Volkslieder vorsingen.
Wir begegnen einer Gruppe von Reitern, auch Gäste unseres Camps. Eine Großfamilie aus Manila. Sie lassen ihre Pferde für eine Verschnaufpause neben unserem Yakkarren traben, und wir schieben die bequeme Art der Fortbewegung auf Levi.
Im Halbkreis liegen wir drei auf der Holzpritsche auf Rädern: Mein Kopf auf Markus’ Bauch. Levis Kopf auf meinem. Jeder mit einer Flasche in der Hand: Levi Milch, ich Wasser und Markus Bier. Wir scheuchen mit müder werdenden Bewegungen die Mücken weg und versuchen im Takt der Schlaglöcher, die in mongolischen Wiesen zahlreich vorhanden sind, mitzuruckeln. Ansonsten beobachten wir die langsam an uns vorbeigleitende saftiggrüne Monotonie aus Wiesen, Blumen und Hügeln. Mit jedem rumpeligen Meter fallen wir mehr in einen halb wachen Trancezustand, als plötzlich ein zwar nicht reißender, aber dennoch ganz schön breiter Fluss unseren Weg kreuzt. Ohne Zögern, ohne ein Wort der Erklärung hält der Fahrer darauf zu. Die Strömung ist stärker als erwartet, und so treibt unsere Holzscholle schnell fast neben dem unbeirrt vor sich hin stapfenden Urvieh. Die Hand, mit der ich mich am Karrenrand festhalte, taucht ins eiskalte Wasser. Und auch unsere Pos werden empfindlich nass. Der Yak wirft seinen schweren Kopf zum Atmen in den Nacken.
Permanent screene ich die Strömung und die Entfernung zu den beiden Ufern – nur um für den Fall des Schiffbruchs zu wissen, in welche Richtung ich schwimmen muss. Ob ich uns mit einem Arm schnell genug durch eiskaltes Wasser fortbewegen kann? Mit dem anderen Arm presse ich ja Levi an mich. Und wie aus dem Nichts sitzt es wieder neben mir – das Rabenmuttergefühl. Als ich Markus von meinen Überlegungen erzähle, lacht er. Aber seine Augen verraten, dass er mein Horrorszenario nicht für völlig ausgeschlossen hält.
Muss unsere meditative Kaffeefahrt mit Yak eine so unerwartet abenteuerliche Wendung nehmen?
Nach zehn Minuten ist alles vorbei, und wir rumpeln, als wäre nichts gewesen, über blumig-saftige Wiesen. Die grünen Hügel, auf die wir
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