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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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ging.
    Wenn es drauf ankommt, funktioniert unser Team. Unser Dreierteam.
    Zu Hause wird es drauf ankommen.
    Flower Power
    Um zwölf Uhr holen der Fahrer und Nara uns ab. Um 13.30 Uhr hält der Jeep vor dem Jalman Meadows Camp. Die Frage, warum aus den prognostizierten dreieinhalb Stunden von gestern auf einmal angenehme anderthalb Stunden wurden, spare ich mir. Denn: Mich plagt ein latent schlechtes Gewissen. Der Fahrer und Nara sind sicher zum ersten Mal mit einem reisenden Baby und den damit verbundenen Einschränkungen konfrontiert.
    Und so haben wir die landschaftlich faszinierende Fahrt schweigend genossen: Wir querten mit dem Jeep mehrere, zum Teil reißende Flüsse. Der Fahrer war wirklich ein Meister seines Faches. Wir ließen die Berge hinter uns, fuhren über weglose saftig grüne Grassteppe, vorbei an heiligen Tschorten mit im Wind flatternden blauen Gebetsfahnen. Nach 45 Minuten Fahrt hatten wir die letzte Jurte hinter uns gelassen. Wir überholten eine junge Mongolin, die ihren gesamten Hausrat samt Jurte auf einem Karren verpackt hatte, der von einem Yak gezogen wurde. Sie trug Jeans und T-Shirt. Als der Wind ihre langen schwarzen Haare verwehte, sah sie aus wie die Freiheit in Person. Wie eine starke Frau, die es genießt, ihr Ding zu machen. Allein.
    Sehnsuchtsvoll schaute ich ihr nach. Ich hätte mich gerne zu ihr gesetzt. Für ein paar Stunden. Oder Tage.
    Kurz vor dem Ziel brach im Wagen Hektik aus. Der Fahrer suchte offensichtlich das Camp und versuchte abwechselnd, sich an den Hügeln zu orientieren und in sich hineinzuspüren. Wir beobachteten das Spektakel fasziniert von den hinteren Rängen und waren erneut voller Bewunderung, dass er auch dieses Camp fand.
    Ich öffne die Tür des Jeeps, und die Welt ist eine Blumenwiese. Sie glitzert blau und lila. Pink, gelb und weiß. Das satte Grün ist Friedensangebot und Aufforderung zugleich: Hinsetzen! Durchatmen!
    Wir beziehen eine Jurte am äußersten Rand des Camps – nach der konfliktbeladenen Nähe der letzten zwei Tage habe ich das Bedürfnis, mich ein wenig abzugrenzen vom Rest der Zivilisation. Und sei sie noch so dünn: Wir sind für die kommenden fünf Tage die einzigen Gäste.
    Levi nutzt seine wiedergewonnene Freiheit und krabbelt an den Rand der roten Decke, die ich für ihn vor unserer Jurte ausgebreitet habe. Dann krabbelt er den Rand der Decke ab, hebt mehrmals die Hand, lässt sie fast ins Gras sinken und zieht sie, kurz bevor die Grasspitzen seine Handinnenflächen kitzeln können, doch zurück. Dreht sich um und schaut mich an. Dieser Bewegungsablauf wiederholt sich mehrere Male, bis ich begreife: Er traut sich nicht, auf das hohe blumendurchzogene Gras zu krabbeln. Oder durch.
    Für ihn ist die Wiese wie Buschland: kinnhoch und undurchsichtig. Und die herumsummenden Hummeln sind für Levi fast faustgroße unbekannte Flugobjekte.
    Ich muss an einen Freund denken, der vor ewigen Zeiten zum gemeinsamen Skifahren in den französischen Alpen seinen südkoreanischen Freund mitbrachte, der noch nie zuvor Schnee erlebt hatte. Und in dem Jahr lag viel Schnee. Dieser Freund hatte, als er das erste Mal vor die Skihütte trat, mit seinen Füßen Ähnliches vollführt, wie Levi gerade mit seinen Händen. Beim Abendessen hat er lachend gestanden, dass er sich nicht sicher war, ob der Schnee ihn tragen würde – obwohl er natürlich rational vom Gegenteil überzeugt war.
    Also pflücke ich eine weiße Blume, kitzle damit Levis Nase. Wenig später beobachte ich meinen Sohn dabei, wie er die weiße Blume freudig quiekend auseinanderrupft und Nachschub verlangt. Ich pflücke eine weitere weiße Blume und stelle fest: Das ist ein Edelweiß. Die ganze Wiese ist voll davon.
    Edelweiß in der Mongolei? Ich dachte, das sei ein Nationalsymbol der Schweiz? Die Schweizer bauen ja fast Zäune um jede einzelne mickrige Pflanze. Bei dem Versuch, sich einem Edelweiß zu nähern, droht einem Erschießen durch Schweizer Förster.
    Schuldbewusst schaue ich mich um. Niemand zu sehen.
    Als ich mich wieder zurückdrehe, ist Levi verschwunden. In einigen Metern Entfernung kann ich eine blau-weiß-gestreifte Mütze zwischen den Gräsern und Blumen auf und ab hüpfen sehen.
    Also lehne ich mich an die Jurte, greife nach dem Tee, den Markus aus der Zivilisation des Restaurantzeltes herbeigezaubert hat, und beobachte meinen Sohn, wie er die mongolische Blumenpracht inspiziert. Insbesondere die lilafarbenen Glockenblumen ziehen ihn in ihren Bann. Lange sitzt er nur

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