Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
zuhalten, werden zu Bergen. Wir werden eins mit den ruckeligen Bewegungen, den Blumen, den Wolken, dem mongolischen Gesang, dem Geruch des Yaks und seinen Hinterlassenschaften. Wir schweigen viel, und ich habe dennoch den Eindruck, intensiv zu kommunizieren.
Es ist faszinierend, so langsam reisend in keinem Moment eine wirkliche Veränderung der Landschaft wahrzunehmen und doch nach vier Stunden an einem völlig anderen Ort zu sein!
Mit Yakgeschwindigkeit durch unberührte grün behügelte Landschaft zu rumpeln, ohne ein Ziel, ohne vordergründige Höhepunkte, fühlt sich an wie in der Zeitlosigkeit schweben.
»Lass uns im nächsten Sommer für einige Wochen per Yakkart durch die Mongolei reisen!«, schlage ich vor.
»Fünf Kilometer pro Stunde, vielleicht 40 Kilometer am Tag, macht ungefähr 250 Kilometer die Woche. Tausend im Monat! Gar nicht so wenig«, lacht Markus und ist dabei.
Eigentlich unglaublich, dass ich die doppelte Strecke in Deutschland an einem Tag zurücklege: Morgens mit dem Flugzeug hin zum Termin und abends zurück. Ob das Wunderbare der Langsamkeit darin besteht, dass es unserer Wahrnehmungsfähigkeit entspricht? Heute Vormittag hatte ich noch Bedenken, es ein paar Stunden auf dem mittelalterlich anmutenden Gefährt auszuhalten. Und jetzt? Wir liegen hier seit vier Stunden, und wegen mir könnte es ewig so weitergehen.
Ich frage unseren Treiber, und er bestätigt meine Hoffnung: Ich kann für unbestimmte Zeit eine Yakkartcrew mieten: Yak, mobile Jurte, Trekkingführer, Koch – und die Route mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Will ich unbedingt machen. Markus auch. Doppelt schön.
Der Yak wird langsamer, schnaubt, bleibt stehen und trinkt aus einer Pfütze. Vom Schnalzen des Treibers lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Als wir oben auf dem Hügelkamm ankommen, rollen wir ins Gras, essen und genießen den Blick über Wiesen, in die Wolken, auf Levi. Ins Nichts.
Ob sich die Faszination des Reisens, beziehungsweise das, was von einer Reise bleibt, umgekehrt proportional zur Reisegeschwindigkeit verhält? Vielleicht weil die Intensität des wenigen, das wir erleben, dadurch, dass es so langsam passiert und länger andauert, enorm gesteigert wird? Es brennt sich ein.
»Wenn ich die Augen schließe, sehe ich den ganzen in den letzten Stunden zurückgelegten Weg vor mir!«, sagt Markus.
Ich schließe meine Augen. »Und ich spüre ihn sogar«, gebe ich zurück und genieße den Gedanken. »Der Weg hat ein Gefühl!«, bricht es aus mir heraus.
Levi begutachtet Grashalme. Heute Abend werden wir acht Stunden auf dem Karren verbracht haben. Ich kann es kaum erwarten, den philippinischen Reitern, bei denen ich mich vor einigen Stunden fast für unsere Bequemlichkeit entschuldigt habe, von meiner Neuentdeckung der Langsamkeit und meiner Begeisterung darüber zu berichten.
Eigentlich reisen wir so langsam wegen Levi – aber es ist für uns keine Einschränkung. Im Gegenteil. Auf den zweiten Blick ist es für Markus und mich außergewöhnlich schön, nichts zu erleben. Ein so intensives, besonderes, kostbares Nichts.
He’s not a rabbit, he’s a tiger
Es ist warm in der Restaurantjurte. Die Atmosphäre schwirrt vor fröhlichem Stimmengewirr, klappernden Tellern und klirrenden Weingläsern. Neben uns und der philippinischen Großfamilie sind heute noch Schweizer, Amerikaner und ein weiteres deutsches Paar in unserem Camp am Ende der Welt angekommen. Levi hat sich am Stuhlbein des charismatischen Filipino am Tisch rechts von uns hochgezogen und folgt der wort- und gestenreichen englischen Unterhaltung.
»Aaaaden!«, bringt er sich nach einigen Minuten des Schweigens ein und zieht damit die Aufmerksamkeit der Familie aus Manila auf sich. Der charismatische Mann um die fünfzig, der mit seinen tieftraurigen und gleichzeitig lächelnden Augen, seinem ausschweifenden Erzählstil und der vierten Flasche Rotwein die Familie zusammenhält, setzt Levi auf seinen Schoß. Sichtlich zufrieden thront er nun dort, verhält sich ruhig und aufmerksam. Zur Sicherheit hält er sich mit beiden Händen an der Tischkante fest. Nur für den Fall, dass der nette Mann versuchen sollte, ihn wieder abzusetzen.
»Ich freue mich schon auf unseren Ausritt morgen!«, sagt die Frau, die Levi gegenübersitzt und ihn unverhohlen mit einem Gesichtsausdruck mustert, den ich nicht zu deuten vermag.
»In der Mongolei zu reiten ist etwas ganz Besonderes!«, fährt sie fort. »Nirgendwo sonst auf der Welt kann man eine
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