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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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Tereldsch-Nationalpark. Mit Millionen von Camps. Der Tereldsch ist die Haupttouristenattraktion der Mongolei. Deswegen wollten wir da auch nicht hin.
    Eigentlich.
    »Warum sind wir denn nicht in den Tereldsch gefahren?«, frage ich Nara, und meine Verzweiflung ist echt. Aber das Gespräch hat mittlerweile recht einseitige Dimensionen angenommen. In Ermangelung irgendwelcher Erklärungen von mongolischer Seite erkläre ich somit den Tereldsch zum neuen Ziel unserer Odyssee.
    Die Gesichtszüge des Fahrers entgleiten. Sein Mund steht offen, ohne dass ein Ton entweicht. Er starrt mich an. Wird bleich. Seine Füße trippeln hin und her, ohne dass er sich von der Stelle bewegt. Zurückfahren scheint gegen die mongolische Fahrerehre zu verstoßen. Schweiß steht auf seiner Stirn. Oder existieren irgendwelche anderen Gründe, warum dieser sehr pflichtbewusst wirkende Mann meint, uns heute noch nach Jalman Meadows bringen zu müssen?
    Mir fällt keiner ein. Auf jeden Fall scheint mir klar ersichtlich, dass der Fahrer und Nara sich nicht uns und unserem Wohl verpflichtet fühlen. Sondern irgendeinem höheren Ziel. Aber welchem? Oder übersetzt Nara irgendwelchen Quatsch?
    »Jalman Meadows ist ganz nah«, verspricht Nara plötzlich. »Nur noch anderthalb Stunden!« Sie lacht dazu.
    »Gerade hast du gesagt, es seien noch dreieinhalb Stunden?«, frage ich zurück und ernte eisiges Schweigen.
    Zumindest Nara hat doch in Großbritannien gelebt. Wenn hier eine interkulturelle Standardkonfliktsituation auf Basis unterschiedlichen Zeitverständnisses vorliegt, müsste Nara doch zumindest ein bisschen vermitteln können. Außerdem trägt der Fahrer eine Uhr. Also der Unterschied zwischen drei und zwölf Stunden müsste ihm doch geläufig sein. Und die Dimensionen seines Landes sind dem altehrwürdigen Fahrer doch auch ein Begriff? Oder?
    Ich ahne, dass das Problem nicht auf der Zeit-Raum-Achse zu liegen scheint, und sehe den Tereldsch als einzigen Rettungsanker. Als Levi anfängt zu weinen, Markus auch keine Idee mehr hat und die Option, auszusteigen, mit den Türen zu knallen und ein Taxi zu rufen, nicht wirklich existiert, blättern wir im Reiseführer nach einem Hotel im Tereldsch, dessen Adresse auch auf Mongolisch angegeben ist.
    »Dann müssen wir jetzt eine Stunde zurückfahren. Und die Fahrt morgen wird auch länger!«, gibt Nara zu bedenken.
    Aber das ist uns egal. Unser Vertrauen in die Angaben unser mongolischen Begleiter ist eh dahin.
    »Wie lang ist die Fahrt dann morgen?«, frage ich matt.
    »Drei bis vier Stunden«, antwortet Nara mit regungslosem Gesicht. Ihre Stimme wie immer ruhig und leise. Ich muss lachen. Und entschuldige mich gleich darauf schweigend dafür. Ich will niemanden verletzen. Ich will nur aus diesem Auto raus.
    Als der Fahrer begreift, dass er wenden muss, geht eine mongolische Schimpftirade allerbester Güte über uns nieder. Wir ertragen sie heldenhaft schweigend und sitzen 45 Minuten später in einem kuscheligen Hotelzimmer mit Blick auf die Berge der mongolischen Schweiz. Das Wasser läuft in die Badewanne ein, Abendessen aufs Zimmer ist bestellt, und Levi hüpft zufrieden auf einem weichen Bett.
    »Ob der Fahrer wohl wiederauftaucht morgen?«, frage ich und bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich dann freuen oder besorgt zeigen sollte.
    »Und wie lange die Fahrt morgen wohl dauert?«, gibt Markus zurück.
    »Geiselnahme als mongolische Geschäftstaktik!«, pruste ich heraus, und fast hysterisch lachen wir drei uns den Frust der letzten Stunden von der Seele.
    Abends im Bett halte ich die Erkenntnisse des Tages fest: Wenn du in der Mongolei ein Auto besteigst, ist ungewiss, wann du wieder rauskommst. Ohne Levi wären wir entspannt oder zumindest entspannter geblieben. Aber mit Levi ist Autofahren mit Fahrer und ohne Zeltausrüstung keine optimale Reiseform.
    Trotzdem war der Tag auf einer anderen Ebene ein wunderbares Erlebnis: Markus und ich haben gemeinsam den Stress von Levi abgehalten, haben uns ohne Diskussionen wechselseitig oder gemeinsam um Levi gekümmert, haben uns gegenseitig gepampert, wenn Levi schlief oder sich selbst beschäftigt hat. Wir waren uns einig, haben uns trotz emotional anstrengender Situationen nicht gestritten, auch nicht, als ich mich auf eine lautstarke Konfrontation mit den Geiselnehmern eingelassen hatte. Was Markus hasst. Und auch nicht, als Markus versucht hat, mit den Entführern stockholmsyndrommäßig gut Wetter zu machen. Was mir entschieden gegen den Strich

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