Mut Proben
häufiger jenseits des weißen Balkens in die verbotene Zone schieben als bei den Risikoscheuen. Die gehen nämlich auf Nummer sicher, warten allerdings länger ab als eigentlich nötig; mit dieser Strategie werden sie zwar nicht »bestraft«, aber ihre Ausbeute ist minimal.
Spannend wird es, wenn die Wissenschaftler an der Risikohöhe schrauben – wenn das gefürchtete Doppel-Piep nicht nur bei zwei von zehn, sondern bei acht von zehn »übergetretenen« Versuchen tönt. Ein Herzfrequenzmessgerät zeigt dabei die körperliche Erregung der Studenten an. Tatsächlich klopfen die Herzen angesichts der erhöhten »Gefahr« schneller – bei den Vorsichtigen ebenso wie bei den Forschen. Alle reagieren auf den erhöhten Puls, indem sie sich etwas zurückhalten und Sekundenbruchteile später drücken als in den Versuchen davor. Sinkt jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Abmahnung durch Punktabzug, müssen sie also nur null Punkte befürchten, werden sie mutiger und drücken ungestümer.
Es ist das weltweit erste Experiment, welches das Risikoverhalten von Menschen systematisch misst. Und es bringt spektakuläre Ergebnisse: In einer Situation, in der Menschen die Wahl haben, entweder auf Nummer sicher zu gehen – die Taste sehr spät drücken und sich mit null Punkten zufriedengeben – oder aber einen riskanten Weg einzuschlagen, auf dem sie mit Geschick gewinnen können, entscheiden sich durch die Bank alle Probanden für die zweite, die heiklere Variante. Freilich preschen je nach Charakter einige schneller voran: Manche drücken unmittelbar nach eintausendfünfhundert, andere erst nach zweitausendfünfhundert Millisekunden. Doch alle suchen ein bestimmtes Maß an Risiko.
In Hunderten Versuchen tasten sich die Probanden immer dichter an die Höchstpunktzahl heran, die zugleich die Schwelle zum Scheitern ist, und geraten dabei in Erregung: Das Herz pocht schneller als im Ruhezustand. Diese Erregung scheint gewünscht, denn sie bleibt während einer Spielreihe über zig Versuche bestehen, sowohl bei den sogenannten Draufgängern als auch bei den Angsthasen.
Auf längere Sicht erweist es sich als unerheblich, ob der Einzelne sich grundsätzlich als ängstlich oder mutig einschätzt. Im Kingston-Experiment wagen sich die forschen Rechteck-Versenker zwar schneller an die Eintausendfünfhundert-Millisekunden-Schwelle, hinter der sie ein Doppel-Piep und Punkteabzug befürchten müssen, wohingegen die scheuen Charaktere bei den ersten Durchgängen kaum Punkte erhalten, weil sie zurückhaltend klicken. Dann aber geschieht etwas, was die kühnsten Erwartungen der Psychologen übertrifft: Die Reaktionszeiten der beiden Gruppen gleichen sich allmählich an. Nach hundertfünfzig bis zweihundert Versuchen sind die Risikofreudigen von den Risikoscheuen kaum mehr zu unterscheiden. Eine Sensation.
Offenbar haben die einen gelernt, dass es ihrem Punktekonto besser bekommt, wenn sie sich etwas zurücknehmen, während die anderen einsehen, dass sie ein bisschen mutiger werden können. Beide Gruppen haben durch Training ein Gefühl für den besten Zeitpunkt entwickelt; im Durchschnitt drücken sie nun die Taste rund zwei Sekunden, nachdem das Kästchen aufblinkt. Sie haben das Risiko optimiert.
Die Natur hat Menschen mit unterschiedlichen Temperamenten ausgestattet und die Mut-Portionen dabei nicht ganz gerecht verteilt – die einen fühlen sich häufig unsicher, während andere meinen, sie müssten bei jeder Gelegenheit vorn mitmischen. Doch der Kingston-Test und weitere Experimente, die Trimpop mit Kollegen entwickelte, belegen: Die Persönlichkeit spielt bei diesen Risikospielen nur zu rund zwanzig Prozent eine Rolle. 44
Es gibt eine Art Wohlfühlrisiko, das für alle Temperamente Gültigkeit hat. Alle hundertzwanzig Kandidaten erstreben eine Balance zwischen Herausforderung und innerer Stimmung. Dabei passen sie sich an die Versuchsbedingungen an. Wechseln diese, ändern die Kandidaten ihr Verhalten, um ihr Erregungsniveau beizubehalten. Wenn etwa die Wahrscheinlichkeit sinkt, für einen Fehlversuch Minuspunkte zu kassieren, könnten die Spieler eigentlich, so möchte man meinen, weitermachen wie zuvor, nun beruhigter. Tun sie aber nicht. Sie wollen sich gar nicht beruhigen. Sie geben die geschenkte Sicherheit unverzüglich auf, indem sie eiliger klicken. Irgendeine innere Stimme flüstert: »Los, nutz deine Chance!« Die Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen, erhöht sich dadurch zwar, doch wäre die »Bestrafung« milder. Es
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