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Mut Proben

Mut Proben

Titel: Mut Proben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jasner
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Sicherheit und Ordnung infrage: Aufgeräumte Arbeitsplätze, so scheint es, schützen nicht vor Unfällen, sie provozieren sie. Bergleute, die unter Tage auf breit ausgebauten und aufgeräumten Wegen zum Arbeitsort gehen, schätzten in Befragungen die Gefahr von Verletzungen gering ein. Anders fällt die Auskunft von Kumpeln aus, die sich durch enge, schlecht beleuchtete, nasse und mit Hindernissen übersäte Stollen zum Einsatzort durchkämpfen: Sie rechnen viel eher mit stolperbedingten Verletzungen. Die tatsächlichen Unfallzahlen aber erzählen das Gegenteil: Das Bergwerk mit den schlechten Bedingungen weist am wenigsten Unfälle auf. Gewarnt durch das offensichtliche Chaos passen Arbeiter dort wahrscheinlich am meisten auf. In »vorbildlichen« Stollen dagegen lässt die Vorsicht nach.
    Arbeitspsychologen nennen dieses Phänomen Risikokompensation: Menschen machen eine neu hinzugewonnene Sicherheit mit einem Mehr an Risikoverhalten zunichte. Rüdiger Trimpop hat dies in persönlicher Anschauung kennengelernt, wenn er als Student in verschiedenen Fabriken jobbte. Arbeiter mögen dort vorschriftsmäßig Stahlkappenschuhe und Schutzhelme tragen – und den Sicherheitsbeauftragten des Werks mit ihrer Vorsorge begeistern. Guckt aber gerade kein Vorgesetzter und ist nach eigener Einschätzung sowieso Zeit für ein Päuschen, liefern sich gelangweilte Werktätige Gefechte mit Kompressorpistolen und Ölspritzen oder sie fahren auf Gabelstaplern und Elektrokränen um die Wette. 46
    Wilde erklärt dieses Verhalten mit der »Risiko-Homöostase«. Homöostase bedeutet Selbstregulation. Wir kennen sie von der Thermostatheizung. Stellen wir den Thermostat auf zum Beispiel »3« ein, sorgt die Heizung für eine gleichbleibende Zimmertemperatur, sagen wir zweiundzwanzig Grad – egal wie kalt oder warm es draußen ist; mal bollert sie mehr, mal weniger. Das Prinzip ist der Natur abgeguckt. Friert ein Tier, stellen sich Haare oder Federn auf, wird vermehrt Nahrung verbrannt und Blut vor allem durch die lebenswichtigen Organe gepumpt, um deren Temperatur auf gesunden sechsunddreißig bis siebenunddreißig Grad zu halten. Wird dem Tier zu heiß, sucht es aus demselben Grund Schatten, bewegt sich wenig, schwitzt oder hechelt.
    Diese natürliche Temperaturregulation kommt der Risikoregulation sehr nahe. So wie wir eine überlebenswichtige Temperatur erstreben, so brauchen wir ein Mindestmaß an Reizen. Risiken erregen uns ganz besonders. Mal positiv, mal negativ – mal wenden wir uns von ihnen ab, weil sie Angst einflößen, mal nähern wir uns ihnen neugierig. In jedem Fall erregen sie unsere Aufmerksamkeit und hindern uns daran einzudösen. Entscheidend dabei ist, dass der Entscheidungsprozess, ob wir ein Risiko eingehen wollen oder nicht, meist unbewusst stattfindet; intuitiv. Die Risikoregulation erfolgt automatisch. So wie der Heizer tief in uns Kohlen in die Kessel unseres Kraftwerks schippt, wenn uns kalt wird, so lässt ein Dompteur Tiger in die Manege unseres Lebens, wenn uns langweilig wird. Hier wie da suchen wir einen lebenswichtigen, behaglichen, unterhaltsamen Pegel – wir verschaffen uns eine Wohlfühlpackung Risiko.
    Wenn der Chef Sie mit Arbeit zugeschaufelt hat und Ihr Kontostand dennoch alarmierend rot leuchtet, sind Sie wenig geneigt, sich mit zusätzlichen Herausforderungen anzulegen. Liegen Sie jedoch zehn Tage faul an einem Strand, entwickelt sich bei Ihnen eine neue Offenheit: für einen Flirt, eine fremde Kultur, womöglich für den gefährlichen Stadtteil, vor dem man Sie eingehend gewarnt hat. Eine innere Stimme dirigiert uns beim ewigen Balanceakt zwischen Langeweile und Gefahr.
    On the road
    Dass es so etwas wie die Suche nach einer Dosis Risiko geben könnte, als sei sie eine Droge – diese Idee fand unter Wissenschaftlern erstmals Anfang der Sechzigerjahre ein paar Anhänger. Damals unternahm der britische Psychologe Donald H. Taylor einen denkwürdigen Versuch: Er klebte zwanzig Autofahrern Sensoren auf die Haut und schickte sie auf eine Strecke, die in der Nähe des königlichen Schlosses Windsor begann und in die westlichen Bezirke Londons führte. Die Sensoren sollten messen, wie sehr die Fahrer dabei ins Schwitzen gerieten. Denn innere Erregung führt – für das bloße Auge oft gar nicht sichtbar – zu einem Feuchtigkeitsfilm auf der Haut, der die elektrische Leitfähigkeit erhöht. Mit einer speziellen Apparatur konnte Taylor registrieren, wie aufgeregt seine Probanden den Wagen durch die

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