Mutproben
jetzt nach so kurzer Zeit. Da musste ich durch. Und der Zuspruch der Bürger hat mich damals sehr getragen.
Politikerjahre IV – Oder die absolute Mehrheit
Jeder Politiker äußert sich über Meinungsumfragen vor Wahlen demonstrativ gelassen. Natürlich mache es ihm nichts aus, dass es derzeit in den Umfragen nicht so gut stehe um ihn oder um seine Partei. Das seien Stimmungen, davon lasse man sich nicht aus der Ruhe bringen. Auch ich habe auf Meinungsumfragen so reagiert. Nach außen hin wurden solche Dinge mit einem Lächeln quittiert, innen aber rumorte es. Kein Politiker bleibt unbeeindruckt von Umfragen. Das ist reine Schauspielerei.
Wir hatten einen Staatsempfang im Rathaus. Ein ausländischer Gast war zu Besuch, und es gab, wie das üblich ist bei solchen Anlässen, ein großes Mittagessen. Bedeutende Bürger der Stadt wurden dazu eingeladen, Wirtschaftsgrößen und wichtige Amtsträger der Bürgerschaft. Es war Wahlkampfzeit und ich hatte meine Partei auf die Linie eingeschworen, mit mir als Zugpferd auf Sieg zu setzen. Ich glaubte nicht daran, dass man mit einer neuen Koalitionsaussage etwas erreichen könne. Wir mussten den Zuspruch in der Bevölkerung nutzen, um uns als Regierungspartei richtig zu etablieren. »Keine halben Sachen« war das Motto. Die Stadt war plakatiert mit meinem Gesicht und der simplen, aber medienwirksamen und emotionalen Zeile: Michel, Alster, Ole.
Kurz bevor das Festessen mit dem Staatsbesuch begann, hatte ich von einem Mitarbeiter auf einem Zettel das Ergebnis der ersten Meinungsumfrage erhalten. Die CDU erreichte
demnach die absolute Mehrheit, 48 Prozent der Stimmen wurden uns prognostiziert. Ein unglaubliches Gefühl. Zum einen, weil die Strategie aufzugehen schien. Zum anderen aber auch, weil sich die SPD zu Tode ärgerte, dass wir als Verantwortliche noch gestärkt aus der ganzen Affäre emporzusteigen schienen. Jedenfalls saß ich an diesem Mittag neben der Präsidentin der Bürgerschaft, Dorothee Stapelfeldt, der heutigen Wissenschaftssenatorin unter Olaf Scholz. Ich faltete den Zettel mit der Meinungsumfrage unter dem Tisch ordentlich zusammen und schob ihn Frau Stapelfeldt zu. Sie schaute sich den Zettel an, sagte nichts, aber ich hatte den Eindruck, dass sie kochte. Diese Meinungsumfrage wirkte wie ein Aufputschmittel auf unsere Leute. Und sie wirkte wie ein Narkotikum auf die Herausforderer.
Einige Monate später hatten wir die Wahl gewonnen. Mit 47,2 Prozent der Stimmen hatten uns die Hamburger ihr Vertrauen ausgesprochen und uns die absolute Mehrheit gesichert. Die Schill-Partei Rechtsstaatlicher Offensive hatte den Sprung über die Fünf-Prozent-Marke nicht geschafft, auch die FDP war nicht in die Bürgerschaft gekommen. Nun regierten wir allein. Zum ersten Mal in der Geschichte der Hamburger CDU war es gelungen, eine Regierung ohne Koalitionspartner zu stellen.
Und doch stand ich diesem Triumph relativ unemotional gegenüber. Ich hatte die Ergebnisse zu Hause abgewartet – ein Ritual von mir bei Wahlen. Gegen 15 Uhr informierte mich der Generalsekretär der CDU über die ersten verlässlichen
Ergebnisse der Nachfragen in den Wahllokalen, die Parteizentralen erhalten diese diskret von den Meinungsforschungsinstituten. Vor ca. 15 Uhr darf man darauf aber nicht viel geben, denn das Ergebnis wird dadurch verfälscht, dass bürgerliche oder konservative Wähler relativ früh schon wählen, während Linke und Alternative eher nachmittags zur Wahlurne gehen. Manch Sieger um 13 Uhr war also nachher der Verlierer und umgekehrt. Gegen 18.30 Uhr, als das Ergebnis tatsächlich einigermaßen feststand, ging es ins Kongresszentrum, wo meine engsten Mitarbeiter warteten und die gesamte Fraktion. Meine Sekretärin war da, der Büroleiter, mein persönlicher Referent, der Pressesprecher und die Terminreferentin. Wir umarmten uns kurz, dann absolvierte ich einen Interviewmarathon und anschließend brachte mich mein Fahrer zur Wahlparty in die Fischauktionshalle. Der Hafen war hell erleuchtet, das Elbwasser spiegelte die gelben Lichter der gegenüberliegenden Werften Blohm und Voss, die typische Hamburger Skyline. Als ich mit meinem Fahrer an die Halle heranfuhr, sahen wir schon von weitem die Menschenmassen warten. Es war eine beinahe hysterische Stimmung. Das Bad in der Menge war nie mein Ding gewesen. Ich mag es nicht, wenn mir Leute, auch wenn sie es gut meinen, zu sehr auf die Pelle rücken. An diesem Tag aber war das unvermeidbar. Ich zog in die Halle ein wie ein
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