Mutproben
in diesem Punkt waren wir völlig unterschiedlicher Auffassung, und so traf ich die Entscheidung wieder einmal einsam: Neuwahlen, und zwar sofort.
Ich werde immer wieder gefragt, was das Schlimmste für mich war in dieser Zeit, zwischen dem Rausschmiss Schills und den Neuwahlen im Februar. Die meisten denken, dass das unfreiwillige Outing sicherlich dazugehört oder die menschliche Enttäuschung über Ronald Schill. Niederlagen und Enttäuschungen aber gehören zum Politikerleben dazu. Das wusste ich immer und das ging mir nie besonders nahe. Es war etwas anderes, das mir in dieser Zeit schwer zusetzte und das ich völlig unterschätzt hatte: die Medien.
Nach der Euphorie um den Rausschmiss Schills begannen bestimmte Blätter Ermittlungen aufzunehmen, ob ich vielleicht doch gelogen hätte in der »Causa Kusch«. Über Monate wurde mein Privatleben auf den Kopf gestellt. Allen voran der SPIEGEL . Unter dem Vorwand, der Wahrheit auf den Grund gehen zu wollen und einen politischen Eklat aufzudecken, begannen SPIEGEL -Mitarbeiter mir nachzuspionieren. Ich bekam Anrufe von Handwerkern, die sagten, da sei jemand vom SPIEGEL und der wolle wissen, wie meine Wohnung am Hansaplatz, die ich an Kusch vermietet hatte, denn eingerichtet sei und ob dort Dinge gesichtet worden seien, die auf bestimmte Sexualpraktiken schließen ließen. Das waren Maurer oder Klempner, die
völlig fassungslos waren und mich darüber informieren wollten. Und ich bekam Anrufe von Leuten auf dem Kiez, dass dort ebenfalls Rechercheure vom SPIEGEL unterwegs gewesen seien und nach mir gefragt hätten, ob ich dort mit Roger Kusch in auffälliger Weise gewesen sei. Das Absurdeste war die Geschichte um eine »Bar mit Hotel« auf der Reeperbahn. »Haralds Hotel« hieß das Ding. Ein halbes Jahr etwa war dieses Etablissement von der Polizei observiert worden, weil man dort eine Förderung der Prostitution vermutete. Es gab eine Kameraüberwachung und man hatte anscheinend einige Promileute dort ein- und ausgehen sehen. Als die Polizei genügend Material beisammen hatte, wurde der Wirt polizeilich vernommen. Dabei nannte er etliche Namen prominenter Personen, die wohl seine Gäste gewesen waren, um sich damit eine bessere Reputation zu verschaffen. Auch ich soll angeblich genannt worden sein, obwohl ich dort nie gewesen bin. Nach der Vernehmung sollte der Wirt das Protokoll unterschreiben, doch er weigerte sich! Wahrscheinlich hatte er gemerkt, dass er seine Aussagen ziemlich überzogen hatte. Die Polizei fertigte daraufhin ein Gedächtnisprotokoll der vernehmenden Beamten an, das die vom Wirt genannten Namen, obwohl er nicht unterschrieben hatte, dennoch enthielt. Dieses Protokoll gelangte in die Akten und von dort aus direkt zu einigen Journalisten.
SPIEGEL- TV brachte daraufhin einen eher schmierigen Beitrag über das Etablissement mit dem Unterton: Hier soll auch der Bürgermeister Stammgast gewesen sein, er wolle sich zu solch privaten Dingen jedoch nicht äußern. In solchen Situationen fällt es schwer, die Gelassenheit zu wahren. Ich
habe nichts gegen investigativen Journalismus, aber viel gegen Bösartigkeit. Zumal man sich kaum wehren kann in einer solchen Situation.
Gleichzeitig platzierte auch der SPIEGEL eine Titelgeschichte zu Sex, Lügen und Politik . Im Innenteil schrieben die Reporter dann vom »Rosa Rathaus«, in dem nun angeblich »Sodom und Gomorrha« ausgebrochen sei. Die Geschichte selbst war ziemlich banal. Interessante Details gab es nicht. Aber der SPIEGEL wollte Auflage machen. Es war ja auch ein guter Aufhänger, und so wurde unter dem Deckmäntelchen der Aufklärung das Schmuddel-Interesse bedient. In dieser Zeit mochte ich kaum noch weggehen. Das Gefühl, im privaten Bereich auf solche Weise durchleuchtet zu werden, verbunden mit der Wehrlosigkeit, die ich empfand – das war keine schöne Zeit. Diese Erfahrung war viel schlimmer für mich als das ganze Theater um die Affäre Schill.
Ein Rücktritt kam für mich trotzdem nie infrage. Ich war in eine Situation geraten, die ich bislang nicht kannte. Ich hatte nie ein Problem damit gehabt, offen und unbedarft mein Leben zu führen. Nun aber fühlte ich mich auf Schritt und Tritt beobachtet. Ich hatte an Freiheit eingebüßt. Doch ich fühlte eine Verantwortung für den eigenen »Laden«, denn schließlich hing nicht nur meine persönliche Karriere daran, es waren viele Leute, die ihre Existenz damit verknüpften. Man kann nicht einfach sagen: So, das wird mir zu bunt, ich gehe
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