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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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werden will, der muss sich auch voll und ganz und ohne Wenn und Aber dazu bekennen.«
    Das deutsche Staats- und Ausländerrecht ist eine Blut-und Bodengeschichte – eine typisch deutsche Leidenschaft. Andere Länder haben für das Problem eine durch und durch logische, simple Lösung: Wer im Land geboren wird, erlangt automatisch die Staatsbürgerschaft. In Deutschland aber zählt das Blut der Eltern. Eine Marotte aus dem neunzehnten Jahrhundert, die von der Realität längst überholt ist, aber an der leider noch immer krampfhaft festgehalten wird.
    Auch die SPD wehrt sich seit Jahren gegen den Zuzug von Ausländern. Die Sozialdemokraten beharren auf der Linie, dass Deutschland erst die deutschen Arbeitslosen vermittelt haben müsse, bevor Fachkräfteanwerbung im Ausland betrieben werde. Es ist also ein generelles Problem der großen
Volksparteien, die eine vermutete öffentliche Meinung zu befriedigen versuchen. Beiden Volksparteien, der CDU wie auch der SPD, geht es darum, rechts von sich keinen Raum für Populismus zu lassen. Dabei laufen jedoch beide Lager Gefahr, der Zeit hinterher zu jagen und sich den drängenden Fragen zu versperren.
    Potentiale aktivieren
    Sprache ist der Schlüssel zu einer Kultur. Sie öffnet einem die Tür. Durchgehen muss man natürlich selbst. Doch wenn man das nicht kann, dann muss einem geholfen werden. Allerdings verzeichnen wir heute ein gesteigertes Sprachdefizit schon in jungen Jahren. Dieses Problem betrifft keineswegs nur türkischstämmige Kinder und Jugendliche. Vielmehr ist es heute generell bei allen Kindern und Jugendlichen festzustellen.
    Wir haben deshalb einen Sprachtest eingeführt, den jedes Kind vor der Einschulung ablegen muss. Wer bei diesem Test bestimmte Kriterien nicht erfüllt, wird nicht eingeschult, sondern kommt zunächst verpflichtend in einen Deutsch-Aufbaukurs. Ein Drittel aller Kinder, die diesen Test nicht bestehen, sind übrigens deutschstämmig, was aufzeigt, welch schwerwiegendes Problem hier heranwächst. Die Tests führen nun zum einen dazu, dass in den Klassen keine Kinder sitzen, die das Niveau nach unten drücken. Zum anderen gewährleisten sie, dass alle Kinder dem Unterricht inhaltlich folgen können.

    Damit dieser Test in Zukunft überflüssig wird, muss schon in den Kitas mit der Sprachförderung begonnen werden. Denn oftmals sind das die Orte, in denen die Kinder unterprivilegierter Schichten erstmals die Chance auf eine gute Bildung erhalten. Das alles sind Langzeitmaßnahmen, die in den nächsten zehn Jahren wirken werden und auf die ich im Kapitel »Bildung« näher eingehen werde.

    Auch im Hinblick auf berufliche Perspektiven der heutigen Jugendlichen müssen wir konkrete Maßnahmen ergreifen. In Hamburg etwa war es so, dass die Zahl derer, die ohne Schulabschluss und ohne Arbeit dastanden, bei Jugendlichen mit ausländischem Hintergrund doppelt so hoch war wie bei den Deutschen. Wir haben also Quoten gefordert. Sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Wirtschaft. Die Stadt war natürlich dabei, Lufthansa Technik, Airbus sowie viele andere große und kleine Unternehmen. Jedes Jahr sollten mindestens tausend zusätzliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund entstehen. Dieser Pakt wurde verbindlich unterschrieben, auch mit der Partizipation der Gewerkschaften. Und diese Einigung hat alle Erwartungen übertroffen. Es wurden weit mehr Jugendliche eingestellt als ursprünglich festgelegt.
    Als ich meine Arbeit als Erster Bürgermeister übernahm, lag die Quote der Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Stadt und bei öffentlichen Unternehmen bei etwas über 3 Prozent. Sei es bei der Müllabfuhr, der Stadtentwässerung, der Polizei oder in der allgemeinen
Verwaltung. Mein Ziel war es, diese Quote innerhalb der nächsten fünf Jahre auf fünfzehn bis zwanzig Prozent anzuheben. Heute liegt sie bei etwa 14 Prozent. Dass das erreicht werden konnte, liegt allein daran, dass der politische Wille da war. Wir haben freundlichen Druck ausgeübt: Ich habe persönlich auf die Geschäftsführung und die Aufsichtsräte der öffentlichen Unternehmen eingewirkt, und wenn keine Steigerung erkennbar war, hat der Chef der Senatskanzlei dort angerufen und gefragt, warum es nicht vorangehe. Ich habe Werbeveranstaltungen besucht, wir haben Klassen zu Diskussionen eingeladen und aktiv für das Projekt in den Abschlussjahrgängen geworben. Ohne strikte politische Vorgabe passiert leider

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