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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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herzlich wenig. Die Öffentlichkeit hat dies – vielleicht zum Glück – kaum zur Kenntnis genommen. Als später in Nordrhein-Westfalen einmal Ähnliches überlegt wurde, ging der öffentliche Ärger los. Hilfe für Migranten? Ja – aber nicht zu Lasten der Ausbildungsplätze für deutschstämmige Bewerber. So wurde damals argumentiert. Dabei ging es nicht darum, schwache ausländische Jugendliche zu privilegieren, sondern darum, bei ihnen Interesse für die Arbeitswelt zu wecken und bei den einstellenden Betrieben für sie zu werben.
    Für diejenigen, die durch diese Quote jetzt einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle erhalten, ist es natürlich ein Erfolg. Aber es ist auch ein starkes Signal an eine ganze Generation. Es ist ein Zeichen an die Generation der Jugendlichen zwischen dreizehn und zwanzig Jahren aus überwiegend türkischen Familien, dass sie von der Gesellschaft gebraucht werden. Wenn ich mich zu Beginn des Projekts auf den Aufklärungsveranstaltungen
mit den Jugendlichen darüber unterhielt und ihnen sagte, dass sie, wenn die Leistung stimmt, Polizisten werden oder sich vielleicht als Feuerwehrmänner ausbilden lassen könnten, dann kam meist völlig fassungslos die Frage: »Wie, ich als Türke kann Polizist werden?« Sie dachten, dass sei ihnen schlicht nicht möglich. Für diese Jugendlichen gehörten solche Berufe zu einem Teil der Gesellschaft, der mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit nichts zu tun hatte, dem sie sich nicht zugehörig fühlten. Diese Menschen gehören zu uns, sie haben Potentiale, die wir aber nicht abrufen, wenn wir ihnen das Gefühl geben, nicht zu uns zu gehören. Das wollte ich ändern.
    Begleitend hierzu galt es zu schauen, wie die Einstellungstests in den Unternehmen aufgebaut sind. Und auch da haben wir in Gemeinschaftsarbeit ordentlich entrümpelt. Um einen Ausbildungsplatz zu erhalten, musste ein Jugendlicher beispielsweise die Frage beantworten, wer der Vater der Sozialen Marktwirtschaft war. Die richtige Antwort: Ludwig Erhardt. Das wissen gerade noch 25 Prozent aller deutschen Jugendlichen. Und wie steht es damit: Wie lautet die klassische Bezeichnung für Taiwan? Das weiß doch nicht einmal die Mehrheit der erwachsenen Deutschen. Antwort hier: Formosa. Völlig abstrus. Ich selbst konnte diese Frage auch nur zufällig beantworten, weil meine Mutter während der Kuba-Krise für alle Fälle »Formosa-Spargel« auf dem Dachboden gehortet hat.
    Wie, fragte ich mich, sollten Jugendliche diesen Test bestehen können, deren Eltern aus Anatolien stammen, wenn schon alle anderen damit größte Probleme hatten? Diese
Einstellungstests führten am wirklichen Leben der meisten Menschen völlig vorbei, und viele der Fragen hatten für die in Aussicht gestellte Tätigkeit keinerlei Bewandtnis. Also sprachen wir mit den Kammern und Unternehmen, sodass diese neue Tests entwickelten.
    Das sind kleine Dinge, die aber in der Summe eine ganze Menge bewirken können. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zeigte, dass unsere Maßnahmen Erfolge hatten – Hamburg lag relativ weit vorn im Bundesvergleich. Dass eine Gesellschaft alle Menschen mit einbezieht und sagt: »Wir wollen euch!«, erst das erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl, ein Wirgefühl, das wir dringend brauchen. Wir sind es diesen Menschen schuldig. Wir sind es uns selbst schuldig. Schon aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus können wir es uns gar nicht leisten, anders zu handeln. Wir brauchen jeden! Denn das nächste Problem steht bereits vor der Tür: Die deutsche Bevölkerung schrumpft, wir bekommen keinen Nachwuchs mehr. Die Wirtschaft aber braucht qualifizierte Kräfte. Wir müssen im Land alle Potentiale ausschöpfen und brauchen zusätzlich Leute mit guten Qualifikationen aus dem Ausland.
    Ausländische Fachkräfte
    Deutschland tut sich mit diesem Thema sehr schwer. Schon die Gesetzeslage geht völlig an der Realität vorbei. Ein junger Mensch, der heute nach Deutschland kommt, um hier zu
studieren, darf nach Beendigung des Studiums nicht einfach bleiben. Nach geltendem Recht muss er bei einer Einstellung ein Mindestgehalt von 50.000 Euro vorweisen. Welcher junge Akademiker kann schon ein Einstiegsgehalt von über 4.000 Euro monatlich vorweisen? Was aber passiert, wenn dieser gut ausgebildete – und vor allem auch bei uns ausgebildete – junge Mensch ein Einstiegsgehalt von nur 3.000 Euro bekommt? Dann muss er raus. Dann will ihn Deutschland nicht haben. Amerika,

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