Mutproben
die auf den Lehrern unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen lastet, durchaus nachvollziehen. Als Lehrer darf man sich keine Schwächen erlauben, man muss stets ansprechbar sein
und seine Mimik im Griff haben. Sobald man sich nur eine winzige Schwäche erlaubt, stürzen sich die Kinder (oder deren Eltern) gleich darauf.
Ich selbst habe in meiner Zeit als Referendar Rechtskundeunterricht für Spätaussiedler gegeben. Das waren Deutsche, die aus Polen und Russland kamen und denen vom Staat zur raschen Integration Sprach-, Gesellschafts- und Rechtskundeunterricht zuerkannt wurde. Ich erläuterte ihnen, wie Demokratie funktioniert oder welche Rücktrittsrechte bestehen, wenn einem an der Haustür etwas aufgeschwatzt wird. Pro Doppelstunde erhielt ich einhundert D-Mark, was zu dem Zeitpunkt ungeheuer viel Geld war. Davon konnte ich mir mein Leben gut finanzieren. Ich hatte jeweils eine bis zwei Einheiten an einem Vormittag in der Woche zu unterrichten, also jeweils 1 ½ bis 3 Stunden. Hinterher war ich völlig fertig, und dabei waren meine Schüler erwachsene Menschen. Allein im Mittelpunkt zu stehen und auf jede Frage eine Antwort haben zu müssen, ging mir an die Substanz. Insofern kann ich mich gut in Lehrer hineinversetzen, habe Verständnis für ihre Belange und weiß, dass es diesbezüglich unerheblich ist, ob jemand Erzieher, Grundschullehrer oder Lehrer an einem Gymnasium, an einer Realschule oder Hauptschule ist. Sie alle kämpfen mit ähnlichen Schwierigkeiten und sind gleich wichtig für den Werdegang der Schüler. Trotzdem gibt es weiterhin Unterschiede in der Bezahlung der Lehrer: Ein Grundschullehrer erhält nicht dasselbe Gehalt wie ein Gymnasiallehrer, weil der Wissensvermittlung ein höherer Stellenwert zugedacht wird als der Pädagogik. Meines Erachtens
wäre eine Bezahlung nach Beanspruchung durch Fach, Klassengröße, Ort der Schule und Korrekturaufwand sinnvoller und gerechter.
Hochschule
In meiner beinahe zehnjährigen Amtszeit habe ich selbst einige Gesichtspunkte der Bildungspolitik falsch eingeschätzt. Ich hätte früher und beherzter das Thema der Kitas aufgreifen sollen und die ungenügende Ausbildung und Auswahl der Lehrkräfte in unserem Land ansprechen müssen. Auch muss ich mir wohl zum Vorwurf machen, wie ich das Projekt Schulreform angegangen bin. Nicht inhaltlich, da stehe ich zu einhundert Prozent hinter meinen Entscheidungen. Aber hätte ich die Konsequenzen und Zerwürfnisse erahnt, die dieses Projekt mit sich brachte, wäre ich etwas anders damit umgegangen.
Es war beherzt, als CDU-Regierung eine solche Schulreform in Hamburg anzugehen. Das ging gewiss gegen die machtpolitische Lehre. Im Strategiebuch für Politik würde stehen: Wenn du wiedergewählt werden willst, mache dir keine polarisierenden Themen zu eigen, die dir deine eigene Klientel negativ auslegen wird. Ich habe das Gegenteil getan. Dafür waren, neben der Unterschätzung der Gefahr, eine gewisse Portion Mut und ein wenig Trotz ausschlaggebend.
Am Rande einer Bürgerschaftssitzung, noch vor der Koalition mit den Grünen, hatte ich bereits eine Rede von Wilfried Maier gehört, einem Mitglied der Grünen in Hamburg und
ehemaliger Senator für Stadtentwicklung unter dem SPD-Bürgermeister Ortwin Runde. Maier hatte in seiner Rede unter anderem über Bildungspolitik gesprochen und über die Verlängerung der Primarschulzeit. Als wir dann mit den Grünen die Koalition eingingen, sah ich den Zeitpunkt für diese Reform gekommen. Ich war fest davon überzeugt, dass diese Reform richtig sei, und dachte, dass ich mit meinen Argumenten und mit dem Appell an das Allgemeinwohl auch die bürgerliche und konservative Klientel überzeugen würde. Allerdings hatten wir mit den Grünen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Volksentscheide bindend seien, denn ich hatte in der Vergangenheit – etwa beim Thema der Privatisierung der öffentlichen Krankenhäuser – hin und wieder die Abstimmungen des Volkes übergangen, wenn sie gegen meine Überzeugung waren. Nun also gab es diesen missglückten Volksentscheid, und wenn ich die Konsequenzen rekapituliere, die dadurch entstanden sind, hätte ich die Reform besser schon zur Zeit der absoluten Mehrheit begonnen und nicht erst in der Koalition mit den Grünen. Allerdings hatten wir uns zuvor bereits einiges vorgenommen und uns war doch etwas bange vor zu viel Veränderung auf einmal. Schon mit den Kita-Gutscheinen, der Reduzierung der Schulzeit bis zum Abitur, einer
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