Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
Vom Netzwerk:
Hochschulreform und dem Anstreben eines zweigliedrigen Schulwesens anstelle des dreigliedrigen hatten wir uns nicht nur Freunde gemacht.

    Ein weiterer großer Fehler war meine Fixierung auf ökonomische Bildung. Es hieß immer, die Globalisierung schreite
voran, auch wir müssten schneller werden in der Ausbildung der jungen Leute. Die Schulzeit bis zum Abitur wurde also von 13 auf 12 Jahre verkürzt. Das war insofern richtig, dass wir einen großen Leerlauf hatten zwischen den schriftlichen und den mündlichen Abiturprüfungen. Teilweise mussten die Schüler drei bis vier Monate überbrücken, das letzte Jahr war also sehr brüchig. Allerdings glaube ich heute, dass die strikte Reduktion der Schulzeit manche Schüler überfordert. Deswegen hätten wir zumindest ein Wahlrecht einräumen sollen.
    Gleiches gilt für die Umstrukturierung der universitären Studiengänge. Ich bin heute längst nicht mehr davon überzeugt, dass es richtig war, die akademische Ausbildung in Bachelor- und Master-Studiengänge einzuteilen, also in eine gehobene Lehre und eine wissenschaftliche Ausbildung. 2001 hatte ich Jörg Dräger, den damaligen Wirtschaftssenator, mit der Aufgabe betraut, sich gemäß dem im Jahr 1999 im italienischen Bologna unterzeichneten Abkommen der EU-Bildungsminister Maßnahmen vorzuschlagen, wie das Hochschulsystem in Deutschland vereinheitlicht werden könne. Dräger richtete damals den Fokus auf wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Belange aus. Die in Hamburg traditionell geisteswissenschaftliche Ausrichtung sollte etwas »eingedämmt« werden. Angestrebt war die Streichung von Professorenstellen, gerade in den kleineren Fachbereichen wie Vietnamistik oder der Sprachlehrforschung. Da diese Institute über unsere Landesgrenzen heraus sehr renommiert waren, gab es zunächst heftige Proteste, sodass wir unseren Kurs leicht veränderten. Doch unsere Intention blieb es, die
Hochschulen stärker an der Nachfrage auszurichten. Wir vereinbarten strukturelle Maßnahmen. Die Führung der Universität wurde straffer organisiert, in den Hochschulräten saßen nun auch Leute aus der Wirtschaft.
    Heute haben wir eine Rückentwicklung. Nicht, dass vorher alles besser war. Eine straffere Organisation der Hochschulen etwa war dringend notwendig. Es gab zu viele Besitzstände, Entscheidungsprozesse der Universitäten dauerten quälend lange. Die Gremienarbeit allgemein fraß viel Zeit, und Wettbewerb innerhalb der Universität gab es kaum. Aber eine profunde akademische Lehre halte ich heute für richtig. Ich weiß, welcher Anstrengung es bedarf, eine wissenschaftliche Arbeit fertigzustellen. Ich weiß noch, wie ich geflucht habe, als ich dies im Jurastudium machen musste. Sechs Wochen waren es allein für das erste Examen. Eine quälende Zeit. Oft habe ich dagesessen und war kurz davor, alles hinzuschmeißen. Zu lernen, wie man richtig gliedert und zitiert, was wissenschaftliche Arbeit bedeutet, wie man sich eine Meinung bildet, wie man Fakten abwägt, das ist anstrengend. Ob dies in den drei Jahren bis zum Bachelorabschluss heutzutage möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn wir also über moderne Bildungspolitik sprechen, dann muss die Diskussion eine neue Dimension erhalten. Es kann nicht nur um Zahlen gehen, um Bildungsausgaben, die gestiegen oder gesunken sind. Es muss heute um ein übergreifendes Gerüst gehen.
    Ich höre aus Unternehmerkreisen vermehrt die Klage darüber, dass sich fast nur noch Leute bewerben, die rein auf ökonomischen Erfolg dressiert seien und kaum mehr soziale
Kompetenzen oder feste Wertevorstellungen hätten. Aus dieser Richtung besteht also der Wunsch nach Persönlichkeiten, die neben rein fachlichen eben auch menschliche Qualitäten vorweisen. Natürlich muss man als Unternehmen den ökonomischen Erfolg im Blick haben, dennoch darf nicht ausschließlich auf den schnellen Profit geschielt werden. Es gibt Werte, die ebenso wichtig sind für ein Unternehmen, die aber leider zu sehr ins Hintertreffen geraten sind: das Verhalten gegenüber älteren Mitarbeitern, das Fördern junger Angestellter, die Integration von Benachteiligten, das gesellschaftliche Engagement von Mitarbeitern und des Unternehmens als Ganzes. Es geht um Wertebeständigkeit, um Solidarität.
    Bildung in ihrem ursprünglichen Sinn hieß immer auch: Herzensbildung, Komplexität, Menschlichkeit – der Versuch, den Dingen in größeren Zusammenhängen auf den Grund zu gehen. Diese Qualitäten sind aber nur zu erreichen, wenn

Weitere Kostenlose Bücher