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Mutter bei die Fische

Mutter bei die Fische

Titel: Mutter bei die Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Matisek
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»entspannten Treffen in netter Atmosphäre« aussah. Harms kam als Erster. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, ein Gastgeschenk mitzubringen, und wenn es nur eine Flasche Bier gewesen wäre. Stattdessen setzte er sich an den Tisch und rieb sich in Vorfreude auf das Essen die Hände. Falk konnte ihn nur schwer davon abhalten, ohne Grit mit dem Essen zu beginnen. Obwohl Falk durchaus unsicher war, ob seine Mutter es übers Herz bringen würde zu erscheinen, wollte er den Anstand haben, mindestens zehn Minuten zu warten.
    Das Gespräch mit Harms kam nur schwer in Gang. Falk fragte nach den Büchern, ob Harms aktuell an etwas arbeitete und wie sich die letzten Werke verkauft hatten, aber überraschenderweise blieb Harms diesbezüglich recht einsilbig. Als Falk seinen Vater in New York besucht hatte, hatte Harms beide Male kein anderes Gesprächsthema gekannt als sich, sein Œuvre und die Verkaufszahlen. Dass er nun die Zähne nicht auseinanderbekam, bestätigte Falk erneut, dass Harms von etwas anderem total absorbiert war. So sehr, dass seine Arbeit als Schriftsteller in den Hintergrund rückte. Eine Krankheit. Eine schlimme Krankheit. Es konnte nicht anders sein.
    Falk beobachtete seinen Vater. Er hatte ein großes Gesicht mit weicher Haut, die mit den Jahren immer faltiger, aber auch grauer geworden war. Altersflecken wucherten auf Stirn, Schläfen und Handrücken. Die Augen waren wässrig, was bestimmt am nicht eben geringen Alkoholkonsum lag. Auch der jahrzehntelange Nikotinmissbrauch seines Vaters hatte Spuren hinterlassen. Das Haar war dicht und lockig wie eh und je, aber die einzelnen grauen Strähnen, die einst den dunklen Schopf durchzogen hatten und Harms so interessant und distinguiert wirken ließen, hatten sich so ausgebreitet, dass er nun zur Gänze grau und zum Teil sogar weißhaarig war. Mit Mühe konnte man noch immer erkennen, was Harms Thomsen einst so attraktiv gemacht hatte – die Größe und die Wucht seiner Erscheinung, der dunkle und tiefgründige Blick, das starke Gebiss und seine sonore Stimme –, aber es ließ sich nicht leugnen, dass der Schriftsteller nun ein alter Mann geworden war. Er wirkte zusammengefallen, kraftlos und traurig. Falk hatte Mitleid mit ihm.
    Es war zwanzig nach acht, Harms hatte sich soeben ein Brot mit Heringssalat gemacht und bereits das zweite Pils geöffnet, als es draußen klopfte. Anstatt Grit einfach hereinzubitten, stand Falk auf und öffnete ihr die Tür. Grits kurze rotgesträhnte Haare waren vom Wind zerzaust, die Wangen von der Fahrt mit dem Fahrrad und vielleicht von der Anspannung gerötet. Sie trug eine Jeans, die an den Beinen umgekrempelt war, ein schlichtes dunkelblaues T-Shirt und den unvermeidlichen Seidenschal in Regenbogenfarben. Sie war mit ihren neunundvierzig Jahren unleugbar eine attraktive Frau.
    Grit begrüßte Falk flüchtig. Sie trat ein und hatte nur Augen für Harms. Dabei sah sie streng und unerbittlich aus. Harms dagegen, der sich laut eigenem Bekunden nicht für ein Treffen mit seiner Ehemaligen interessierte, fiel fast das Brot aus der Hand vor Überraschung. Er erhob sich langsam, während er Grit mit einem zunächst fassungslosen Blick, dann mit wachsender Faszination anstarrte. Falks Mutter dagegen sah regelrecht schockiert aus. Sie blieb wie angewurzelt stehen und musterte den alten Mann am Tisch.
    Falk, der noch immer die Klinke der Eingangstür umfasst hatte, fühlte sich seltsam unbeteiligt. Als wäre er ein Theaterbesucher, der versehentlich auf der Bühne statt im Zuschauerraum gelandet war. Ihm war durchaus bewusst, dass dies ein wichtiger Moment in seinem Erwachsenenleben war, denn seit er ein vierjähriger Pimpf gewesen war, hatte er seine Eltern nicht mehr zusammen erlebt.
    Â»Ich lass euch vielleicht erst mal alleine«, brach er zaghaft das Schweigen.
    Aber Grit schüttelte den Kopf, wich ein paar Schritte zurück und sagte tonlos: »Nein. Das brauchst du nicht. Wir haben uns nichts zu sagen.« Dann verschwand sie blitzschnell nach draußen, packte ihr Fahrrad und fuhr energisch den Weg in Richtung Bushaltestelle zurück, ohne sich einmal umzusehen.
    Falk traute sich nicht, ihr nachzurufen. Er hatte geahnt, dass ein Wiedersehen mit Harms für Grit nicht leicht sein würde. Tatsächlich schien es für sie sogar katastrophal zu sein.
    Falk war der Appetit jedenfalls vergangen, als er an den

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